Eine Braut zu viel: Roman (German Edition)
meinen Kiefer wieder einzurenken und auf Sprechmodus zu schalten.
»Seit wann?«
»Seit sechs Jahren.« Er wirft mir einen Seitenblick zu, um zu sehen, wie ich reagiere.
»Seit sechs Jahren?«, wiederhole ich ungläubig.
»Es fing an, kurz nachdem du ausgezogen bist. Ich hätte es nie verbergen können, wenn du noch da gewesen wärest, Fliss. Dir wäre es aufgefallen. Du hättest mich ertappt.«
Nachdem sich die Schleusen geöffnet haben, sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus.
»Ich wollte es dir schon so lange sagen. Deine Mutter hat mich nie geliebt, Fliss, unsere Ehe war eine Farce. Ich bin nur wegen dir und Sally-Anne geblieben. Jetzt kann ich das nicht mehr. Kaum war Sally heute Morgen zur Haustür hinaus, wusste ich einfach, dass ich nicht den Rest meines Lebens allein mit deiner Mutter verbringen kann. Florence ist so lieb und gut und verständnisvoll …«
»Florence?«, hake ich nach.
»Meine liebe, liebe Florrie …« Einen Augenblick lang werden seine Züge weich, und die Anspannung lässt nach. »Du würdest sie mögen, Fliss. Sie gibt mir alles, was deine Mutter nicht geben kann oder auch nicht will. Du ahnst ja nicht, wie schwer es ist, eine Beziehung weiterzuführen, die völlig steril ist, bar jeder echten Zuneigung.«
»Liebst du sie?«
Er nickt.
»Dann werde ich sie mögen«, erkläre ich. »Alles in Ordnung, Dad, ich verstehe dich.«
»Ja?« In seinen müden grauen Augen flackert ein Hoffnungsschimmer auf.
»Aber natürlich, besser als jeder sonst. Es wundert mich nur, dass du es so lange ausgehalten hast. Ach, Dad, ich wusste ja, dass du unglücklich bist, aber nicht, wie sehr. Warum hast du mir denn nie was gesagt?«
»Ich wollte der perfekte Vater sein. Der Himmel weiß, dass ich dir das schulde. Ich wollte wiedergutmachen, wie deine Mutter dich behandelt hat, Fliss. Ich hätte dich in Schutz nehmen sollen, sie daran hindern müssen, dass sie dich schikaniert und Sally-Anne manipuliert, aber ich habe es nicht getan. Ich alter Dummkopf, nie habe ich ihr die Stirn geboten …« Er bricht mit erstickter Stimme ab und legt den Kopf in die Hände. Seine Schultern beginnen zu zucken.
Sanft ziehe ich seine Hände vom Gesicht. In seinen Augen schimmern Tränen.
»Du bist der perfekte Vater«, sage ich tröstend. »Für mich wirst du das immer sein.«
Ich drücke seine Hände, während er sich verzweifelt an mich klammert. Rollentausch. Das Kind nimmt den Platz der Eltern ein und tröstet, während die Eltern zu Kindern werden, abhängig und um Anerkennung bettelnd.
»Ich dachte, du würdest mich hassen.«
»Warum sollte ich dich dafür hassen, dass du versuchst, glücklich zu werden? Wollen wir das nicht alle?«
Er sieht auf und lächelt zögernd.
»Ich glaube, ich habe mein Glück endlich gefunden, Fliss. Findest du es selbstsüchtig, dass ich es nicht wieder aufgeben will?«
Ich schüttele den Kopf.
»Überhaupt nicht.«
»Und findest du das, was ich tue, richtig?«
»Was wirst du denn tun, Dad?«
Er atmet tief durch.
»Ich werde zu Florrie ziehen. Ich verlasse deine Mutter … verlasse sie«, wiederholt er, als fiele es ihm selbst schwer, das zu glauben.
»Also gut.« Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe. »Und was passiert als Nächstes?«
»Na ja, ich warte, bis Sally aus Mauritius zurückkommt, und dann …«
»Und dann gehst du«, beende ich den Satz an seiner Stelle.
»Und dann gehe ich«, stimmt er mir zu. »Ich weiß, dass es für Sally ein furchtbarer Schock sein wird, aber ich kann nicht mehr.«
Die nächsten vier Tage vergrabe ich mich in meiner Wohnung und gebe vor, an der Vorbereitung des kommenden Schuljahres zu arbeiten. Doch ich bin nicht wirklich mit dem Herzen beim Wintermärchen , und Chaucer treibt mich zum Wahnsinn. Ich beschließe, einen Spaziergang zu machen. Ich sollte mir wirklich einen Hund zulegen, wenn man berücksichtigt, wie häufig ich in den letzten Tagen spazieren gegangen bin. Warum ist das Gehen dem Denken förderlich? Bewegt sich das Gehirn nur, wenn sich auch die Füße bewegen? Das kann ich mir nicht vorstellen. In der Zwischenzeit hat der Sommer eine Pause eingelegt, nachdem er eine Weile lang gezögert hat, ob er nicht schon dem Herbst weichen soll, der gegenwärtig einen ersten Testlauf macht.
Das Wetter hat mit atemberaubender Geschwindigkeit umgeschlagen. Die Hitze ist langen Regenschauern und einem wolkenverhangenen Himmel gewichen. Von der Sonne vertrocknete Blätter fallen bereits von den Bäumen und werden
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