Eine dunkle Geschichte (German Edition)
stand. Der Mond ließ alle Firste und Dachspitzen leuchten und umspielte sie mit flimmerndem Lichte.
Michu betrachtete diesen alten Herrensitz mit einem Blicke, der die Gedanken seiner Frau umwarf, denn sein Gesicht war ruhiger geworden und zeigte einen Ausdruck von Hoffnung und eine Art Stolz. Dann überschaute er den Gesichtskreis mit einem gewissen Mißtrauen: es mußte gegen neun Uhr sein; der Mondschein fiel auf den Waldrand, und die Anhöhe war besonders stark beleuchtet. Dieser Standpunkt schien dem Verwalter gefährlich; er stieg hinab, als fürchtete er, gesehen worden zu sein. Doch kein verdächtiges Geräusch störte den Frieden des schönen Tales, das auf dieser Seite vom Walde von Nodesme umschlossen wurde. Martha, die von dem scharfen Ritt erschöpft war und zitterte, erwartete irgendeine Lösung. Wozu hatte er sie mitgenommen? Zu einer guten Tat oder zu einem Verbrechen?
In diesem Augenblick sagte Michu seiner Frau ins Ohr:
»Du wirst zur Gräfin Cinq-Cygne gehen und sie zu sprechen verlangen. Wenn du sie siehst, bitte sie, beiseite zu kommen. Wenn niemand euch hören kann, wirst du zu ihr sagen: ›Gnädiges Fräulein, das Leben Ihrer beiden Vettern ist in Gefahr, und der Mann, der Ihnen das Wie und Warum erklären wird, wartet.‹ Hat sie Angst, ist sie mißtrauisch, so setze hinzu: ›Sie gehören zur Verschwörung gegen den Ersten Konsul, und die Verschwörung ist entdeckt.‹ Nenne deinen Namen nicht, man mißtraut uns zu sehr.«
Martha Michu hob den Kopf zu ihrem Manne und sprach:
»So dienst du ihnen?«
»Nun, und was weiter?« fragte er stirnrunzelnd, denn er glaubte an einen Vorwurf.
»Du verstehst mich nicht!« rief Martha aus und ergriff Michus breite Hand. Dann fiel sie vor ihm auf die Knie und küßte diese Hand, die sich plötzlich mit Tränen bedeckte.
»Lauf! Weinen kannst du nachher«, sagte er, sie heftig umarmend.
Als er den Schritt seiner Frau nicht mehr hörte, traten dem eisernen Manne Tränen in die Augen. Er hatte Martha wegen der Ansichten ihres Vaters mißtraut, aber die Schönheit ihres schlichten Charakters war ihm plötzlich aufgegangen, wie ihr die Größe des seinen klar wurde. Martha geriet aus der tiefen Demütigung, die die Mißachtung eines Mannes verursacht, dessen Namen man trägt, in das Entzücken, die sein Ruhm bereitet. Der Übergang war so plötzlich, daß sie der Ohnmacht nahe war. Wie sie ihm später erzählte, hatte sie vom Pavillon bis Cinq-Cygne in ihrer Angst und Sorge Blut geschwitzt und einen Augenblick hatte sie sich unter die Engel des Himmels entrückt gefühlt. Er, der sich nicht verstanden fühlte, der das grämliche, schwermütige Wesen seiner Frau für einen Mangel an Liebe hielt, hatte sie sich selbst überlassen und draußen gelebt, seine ganze Zärtlichkeit auf seinen Sohn geworfen, aber nun hatte er im Nu begriffen, was die Tränen dieser Frau bedeuteten: sie verfluchte die Rolle, die ihre Schönheit und der Wille ihres Vaters sie zu spielen zwang. Das Glück hatte in seinen schönsten Flammen für sie geleuchtet, wie ein Blitz im Gewitter. Ja, es mußte ein Blitz sein! Beide dachten an zehn Jahre des Mißverstehens und jeder gab sich allein die Schuld. Michu blieb unbeweglich stehen, den Ellbogen auf der Büchse und die Hand am Kinn, in tiefes Sinnen verloren. In solchen Augenblicken heißt man alle Schmerzen der schmerzlichsten Vergangenheit gut.
Von tausend ähnlichen Gedanken bestürmt, fühlte Martha sich auch noch durch die Gefahr der Simeuses bedrückt, denn sie begriff alles, selbst die Gesichter der beiden Pariser; nur die Büchse war ihr unerklärlich. Wie eine Hirschkuh lief sie dahin und erreichte den Weg nach dem Schloß. Zu ihrer Bestürzung hörte sie hinter sich die Schritte eines Mannes und schrie auf, aber Michus breite Hand schloß ihr den Mund.
»Von dem Hügel aus sah ich in der Ferne das Silber auf den Hutborten glänzen! Geh durch die Bresche des Grabens zwischen dem Damenturm und den Ställen, dann werden die Hunde dich nicht anbellen. Geh in den Garten, ruf die junge Gräfin durchs Fenster; laß ihr Pferd satteln; sage ihr, sie solle es durch die Bresche führen. Ich werde dort sein, sobald ich den Plan der Pariser erforscht und herausgekriegt habe, wie man ihnen entgehen kann.«
Die Gefahr, die wie eine Lawine rollte und der man zuvorkommen mußte, gab Martha Flügel.
Der fränkische Name, den die Cinq-Cygnes und die Chargeboeufs gemeinsam trugen, war Duineff. Cinq-Cygne wurde der Name des jüngeren
Weitere Kostenlose Bücher