Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Streich, wie sie es nannten, nicht täuschten. Dieser Zwist war ausgebrochen, als in der Rue Saint-Nicaise die Höllenmaschine explodierte, der erste royalistische Anschlag gegen den Sieger von Marengo, als er sich geweigert hatte, mit dem Hause Bourbon zu unterhandeln. Die Hauteserres sahen es als ein Glück an, daß Bonaparte dieser Gefahr entronnen war, denn sie hielten die Republikaner für die Urheber des Attentats. Laurence weinte vor Wut, als sie den Ersten Konsul gerettet sah. Ihre Verzweiflung siegte über ihre gewohnte Verstellung; sie klagte Gott an, daß er die Söhne des heiligen Ludwigs verriete. »Mir,« rief sie aus, »mir wäre es gelungen!« Und als sie die tiefe Bestürzung sah, die dies Wort auf allen Gesichtern hervorrief, sagte sie zum Abbé Goujet: »Hat man nicht das Recht, die Usurpation mit allen möglichen Mitteln anzugreifen?« »Mein Kind,« entgegnete der Abbé Goujet, »die Kirche ist von den Philosophen scharf angegriffen und getadelt worden, weil sie einst behauptet hatte, man dürfe gegen die Usurpation alle Waffen gebrauchen, deren sich die Usurpatoren bedient hätten, um ihr Ziel zu erreichen. Heute aber verdankt die Kirche dem Herrn Ersten Konsul zu viel, um ihn nicht zu schützen und ihn vor diesem Grundsatz zu behüten, der übrigens von den Jesuiten stammt.«
»So läßt uns die Kirche im Stich!« hatte sie mit finstrer Miene geantwortet.
Seit jenem Tage verließ die junge Gräfin allemal den Salon, wenn die vier alten Leutchen davon sprachen, daß man sich der Vorsehung fügen müsse. Seit einiger Zeit erörterte der Pfarrer, geschickter als der Vormund, nicht mehr die Grundsätze, sondern hob die materiellen Vorteile der Konsulatsregierung hervor, weniger um die Gräfin zu bekehren, als um in ihren Augen einen Ausdruck zu erhaschen, der ihn über ihre Pläne aufklären konnte. Gotthards Abwesenheiten, Laurences häufige Ritte und der sorgenvolle Ausdruck, der sich in den letzten Tagen auf ihrem Gesicht zeigte, schließlich eine Menge von Kleinigkeiten, die in der Stille und Ruhe des Lebens auf Cinq-Cygne nicht unbeachtet bleiben konnten und besonders den besorgten Blicken der Hauteserres, des Abbé Goujet und der Durieu nicht entgingen, – all dies hatte die Befürchtungen dieser kleinmütigen Royalisten erweckt. Da sich aber nichts ereignete und in der politischen Sphäre seit ein paar Tagen die völligste Ruhe herrschte, war das Leben in dem kleinen Schlosse wieder friedlich geworden. Jeder hatte die Ritte der Gräfin ihrer Jagdpassion zugeschrieben.
Man kann sich vorstellen, welche tiefe Stille um neun Uhr im Park, in den Höfen und in der Umgebung des Schlosses herrschte, wo in diesem Augenblick die Dinge und Personen so harmonisch abgetönt waren, wo der tiefste Friede herrschte, wo der Überfluß wiederkehrte, wo der gute, verständige Edelmann sein Mündel zu seinem System des Gehorsams durch die Dauer der glücklichen Resultate zu bekehren hoffte. Diese Royalisten spielten nach wie vor ihr Boston, das durch ganz Frankreich Unabhängigkeitsideen in harmloser Form verbreitete, das zu Ehren der Aufständischen Amerikas erfunden war und mit sämtlichen Ausdrücken an den von Ludwig XVI. ermunterten Kampf erinnerte. Während sie ihre »Independenzen« oder »Miseren« legten, beobachteten sie Laurence, die bald vom Schlummer überwältigt, mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen, einschlief. Ihr letzter Gedanke hatte dem friedlichen Bild dieses Tisches gegolten, an dem die kurze Bemerkung, daß die jungen Hauteserres die letzte Nacht unter ihrem Dache geschlafen hatten, den Eltern den heftigsten Schrecken hätte einjagen können. Welches junge Mädchen von dreiundzwanzig Jahren wäre nicht in Laurences Lage stolz darauf gewesen, selbst ein Schicksal zu sein, hätte nicht wie sie eine leise Regung des Mitleids für die empfunden, die sie so weit unter sich sah? »Sie schläft«, sagte der Abbe. »Ich habe sie noch nie so müde gesehen.«
»Durieu sagte mir, ihre Stute sei ganz abgetrieben. Ihre Büchse ist nicht benutzt; die Pfanne war sauber; gejagt hat sie also nicht.«
»Ha; verflixt,« rief der Pfarrer, »das gefällt mir nicht.«
»Bah!« rief Fräulein Goujet, »als ich dreiundzwanzig Jahre alt war und mich dazu verurteilt sah, sitzen zu bleiben, bin ich noch ganz anders herumgelaufen und habe mich abstrapaziert. Ich begreife, daß die Gräfin durch die Felder spazieren reitet, ohne ans Jagen zu denken. Es ist bald zwölf Jahre her, daß sie ihre Vettern
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