Eine dunkle & grimmige Geschichte
du verrückt? Der Teufel würde doch sofort aufwachen. Und dann wäre Hänsel für immer verdammt.
Ich hoffe, ihr habt jetzt nicht wirklich gedacht, dass er das tun würde. Wenn doch, dann wünsche ich euch viel Glück, falls ihr je in der Hölle landen solltet.
Hänsel nahm die Brille des Teufels, ging mit ihr zum Schrank zurück und schloss die Tür. Dann wartete er dort die ganze Nacht.
Am nächsten Morgen erwachte der Teufel und machte sich für einen neuen Tag des erfolgreichen Seelensammelns fertig. Seine Großmutter machte das Frühstück. Es gab einen Brei aus menschlichen Fingernägeln. Dann packte sie ihm sein Mittagessen in einen Beutel.
Aber bevor er ging, beschwerte sich der Teufel, dass er seine Brille nicht finden könne. Er war sehr wütend, denn ohne sie konnte er nur sehr schlecht sehen. »Ich erkenne dich fast nicht, Großmutter!«, rief er. »Wo zur Hölle habe ich sie nur hingelegt?«
»Nur der Teufel weiß das!«, sagte die Großmutter.
»Nein, auch der weiß es nicht!«, rief er aufgebracht. Am Ende stürmte er ohne Brille aus dem Haus und brummte, dass er so kaum einen Sünder von einem anderen unterscheiden könne und ein guter Tag der Verdammung verschwendet sei.
Nachdem er gegangen war, ging die Großmutter nach oben. Hänsel öffnete ganz vorsichtig die Schranktür. Er spähte die Treppe hinauf.
Die Großmutter beförderte verschiedene Dinge auf den Dachboden. Hänsel beobachtete, wie sie eine Krone mit Kopf und etwas, das wie ein Tintenfisch aussah, die Treppe hinauftrug und mit leeren Händen wieder herunterkam. Sie machte das Gleiche noch einmal. Dieses Mal schleppte sie zwei riesige Füße. Als sie zurückkam, war sie schweißgebadet. Sie kratzte sich am Kopf zwischen ihren grauen Haaren und nahm sie ab. Hänsel verzog unwillkürlich das Gesicht, als er den schorfigen, kahlen Kopf sah, der unter der Perücke zum Vorschein kam.
Sie verschwand in einem Zimmer und kam ohne ihre Perücke zurück. Dafür trug sie ein ausgestopftes Kind mit einem Lolli in der Nase auf dem Arm. Als sie wieder zum Boden hinaufging, atmete Hänsel tief ein und folgte ihr.
Jeder seiner Schritte machte ein lautes, knarzendes Geräusch. Bei jedem Knarzen zuckte er zusammen und hielt die Luft an. Aber des Teufels Großmutter sang wieder und konnte nichts hören. Als sie durch die Tür zum Speicher verschwand, schlich ihr Hänsel nach. Er beobachtete, wie sie, halb unter Kisten und seltsamen Objekten begraben, herumräumte. Leise schloss er die Tür hinter ihr und stellte überrascht und erleichtert fest, dass ein Schlüssel im Schloss steckte. Er drehte ihn um und ging wieder nach unten.
Schon bald hörte Hänsel lautes Klopfen. Dann schrie die Großmutter um Hilfe. Aber keiner außer ihm konnte sie hören. Nach viel Geschrei und Geklopfe fand sich die Großmutter wohl damit ab, dass sie den Tag auf dem Dachboden verbringen würde, und beruhigte sich.
Jetzt ging Hänsel in ihr Schlafzimmer. Auf dem Ankleidetisch vor dem Spiegel aus vulkanischem Glas stand ein Perückenkopf mit den grauen Haaren der Großmutter darauf. Daneben lag ihr Schminkzeug – ein dicker, schwarzer Lippenstift, der aussah wie gehärtetes Öl, Wangenrot, das an getrocknetes, pulverisiertes Blut erinnerte, und falsche Wimpern, die aussahen wie Fliegenbeine und es auch tatsächlich waren.
Im Schrank hingen ihre Kleider. Hänsel schloss die Tür hinter sich.
Eine Stunde später kam er wieder heraus, von Kopf bis Fuß gekleidet wie des Teufels Großmutter. Er trug ein bauschendes schwarzes Kleid, Make-up (er hatte sie so gut er konnte aufgetragen, was nicht besonders gut war) und ihre graue Perücke. Nur die falschen Wimpern hatte er weggelassen.
In der Küche holte er einen Topf aus dem Eisfach, dessen Inhalt wie menschliche Finger aussah. Er setzte den Topf auf den Herd und machte Feuer. »Resteessen«, sagte er zu sich. Dann deckte er den Tisch mit Gabeln und Messern aus menschlichen Knochen und Zähnen und wartete, bis der Teufel nach Hause kam.
Als er hörte, wie die Schritte des Teufels sich der Tür näherten, schrie er so laut, wie er nur konnte. Die Tür öffnete sich und der Teufel trat ein.
»Verdammt, Großmutter, kannst du nicht für einen Moment mit deinem teuflischen Gesang aufhören?«
»Da hat aber jemand schlechte Laune«, sagte Hänsel in seiner besten Großmutterstimme.
»Ohne meine verdammten Brillengläser kann ich nicht nach Sündern Ausschau halten. Ich habe mich zum Idioten gemacht«, sagte der Teufel
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