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Eine dunkle & grimmige Geschichte

Eine dunkle & grimmige Geschichte

Titel: Eine dunkle & grimmige Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Gidwitz
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Fensterläden. Die Dämonen schubsten Hänsel zur Tür. »Geh rein und besuch ihn«, sagten sie. »Mal sehen, ob du dann nicht doch noch schreist.«
    Sie wandten sich ab. »Ich hoffe, das nächste Mal bekommen wir einen Schreihals«, sagte der eine.
    »Ja«, sagte der andere. »Der war wirklich unheimlich.«
    Hänsel stand vor der Tür. Sie war genauso schwarz wie die Pforte zur Hölle, aber sehr altmodisch, mit einem Türklopfer, der aussah wie der vergoldete Kopf eines Kätzchens. Hänsel sah sich den Türklopfer näher an. Die Schnurrhaare waren echt. Es war der vergoldete Kopf eines Kätzchens.
    Hänsel vermied es, den Türklopfer zu berühren, und pochte sehr leise an der Tür. Niemand antwortete. Vorsichtig lehnte er seinen Kopf gegen das Holz und lauschte.
    Schreie, schreckliche Schreie, viel schlimmer als die der Sünder in den Feuerkratern, waren drinnen zu hören. Hänsel gefror das Blut in den Adern. »Tu es«, sagte er zu sich selbst. »Tu es jetzt.« Er legte seine Hand auf den Türgriff und drückte ihn.
    Hänsel stand in einem Wohnzimmer – einem ganz normalen Wohnzimmer.
    Vor dem Kamin standen eine Couch, ein Ohrensessel und Beistelltische mit Kerzen. Den Boden bedeckte ein dicker Teppich. In der Luft lag ein fürchterlicher Gestank – eine Mischung aus Schweiß, Körpergerüchen und Schwefel. Der Geruch war so intensiv, dass es Hänsel würgte und er sich die Nase zuhalten musste. Er sah sich den Ohrensessel näher an. Er war nicht aus Leder, sondern aus menschlicher Haut. Hänsel entdeckte an einer der Nähte Zähne. Er hielt sich den Mund zu, um sich nicht übergeben zu müssen.
    Die Schreie kamen aus dem Nachbarzimmer. Vorsichtig schlich sich Hänsel zu der Couch. Sie war aus Haaren gemacht – aus Menschenhaaren. Er sah schnell wieder weg. Von seiner Position hinter der Couch konnte er in den nächsten Raum blicken. Es war die Küche. Dort stand eine alte Teufelsfrau mit einer Pfanne in jeder Hand und kochte und sang. Das Geräusch, das er für schreckliche Schreie gehalten hatte, war in Wirklichkeit Gesang.
    In diesem Moment hörte Hänsel das knarzende Geräusch von Fußtritten auf der Treppe, die zur Vordertür führte. Er sah sich verzweifelt nach einem Versteck um. Er rannte zu einem Schrank, schlüpfte hinein und schloss die Tür leise hinter sich. Nur einen Wimpernschlag später hörte er die Stimme des Teufels.
    »Großmutter, ich bin zu Hause!«
    Der markerschütternde Gesang aus der Küche verstummte. »Das Abendessen ist fertig, mein Kleiner.« Und jetzt konnte Hänsel hören, wie der Tisch gedeckt wurde.
    Der Teufel half der Großmutter (denn sogar der Teufel hilft seiner Großmutter beim Tischdecken). Plötzlich hielt er inne, schnüffelte und fragte: »Riecht es hier nicht nach Menschenfleisch?«
    Hänsel hielt die Luft an.
    »Natürlich, mein Dummerchen«, sagte die Großmutter. »Ein kleiner Junge namens Hänsel wartet im Wohnzimmerschrank auf dich.«
    Nein, das hat sie nicht gesagt. War nur ein Witz.
    »Natürlich, mein Dummerchen«, sagte die Großmutter. »Was glaubst du, was wir zu Abend essen?« Und sie setzten sich hin und aßen.
    Hänsel saß in dem dunklen Schrank – umgeben von Decken und Kopfkissen (er sah lieber nicht nach, aus was sie gemacht waren) – und wartete. Der Teufel aß das Abendessen, das die Großmutter für ihn gemacht hatte: die Finger von Sündern, gewürzt mit ihren Tränen. Anschließend gähnte er laut.
    »Müde von all deinen boshaften Gaunereien?«, fragte die Großmutter liebevoll. »Komm her und leg dich hin. Du kannst deinen Kopf in meinen Schoß legen, dann streichle ich dir dein wunderschönes, goldenes Haar.«
    Der Teufel legte seinen langen Reisemantel ab, platzierte seine Brille auf einem Beistelltisch, rollte sich auf dem dicken Teppich zusammen und ließ seinen Kopf im Schoß seiner Großmutter ruhen. Sie streichelte sanft sein Haar. »Schlaf jetzt«, sagte sie. »Schlaf.« Kurz darauf schnarchte er. Und schon bald schnarchte auch die Großmutter.
    Hänsel hockte im dunklen Schrank und hörte den beiden beim Schnarchen zu. Plötzlich erkannte er, dass seine Chance gekommen war. Hatte der alte Mann nicht erzählt, dass er nur drei goldene Haare des Teufels brauchte, um diesem Ort zu entrinnen?
    Vorsichtig öffnete er die Schranktür und ging auf Zehenspitzen zu den beiden Schlafenden. Ganz vorsichtig streckte Hänsel die Hand aus und …
    ... riss dem Teufel drei Haare aus.
    Das wollte er doch tun, oder?
    Oder etwa nicht?
    Falsch! Bist

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