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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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berührten sich, ihre Hände trafen sich. Nach einer Weile sanken beide beglückt zurück.
    Danach blieben sie eng umarmt liegen, streichelten sich über Haare und Gesicht und flüsterten zärtliche Worte. Dann schliefen sie ein, aneinandergeschmiegt wie Kinder.
    «Mit ’nem Mann ist es natürlich noch viel besser», sagte Dora am nächsten Morgen. «Der einzige Nachteil ist, die Männer haben Stoppeln im Gesicht. Kommste mit mir nach Rouen, Mary Anne?»
    Es war das erste Mal, daß Mary Anne an diese Möglichkeit dachte.«Sie werden mich postwendend nach Hause schicken. Niemand hat mir die Erlaubnis gegeben, meinen Dienst wieder anzutreten. Abgesehen davon, ich bin zu jung für Frankreich, obwohl das bislang keinem aufgefallen ist.»
    «Und ich geh’ jede Wette ein, daß diese Blödiane nicht mal wissen, daß du keine Erlaubnis hast. Ich muß meinen Rückreiseschein von dem Transport-Heini in Liverpool abholen. Natürlich stehst du nicht auf der Liste, aber das passiert oft. Hast du deine Rotkreuzuniform dabei?»
    «Natürlich.»
    «Dann komm mit mir. Keiner wird vor Weihnachten der Sache auf die Spur kommen, und bis dahin haste dich unentbehrlich gemacht. Es heißt, im Frühjahr geht’s wieder los. Und dann wird jede von uns gebraucht.»
    Doras Voraussage erwies sich als richtig. Weihnachten war lange vorbei, als jemand von Mary Anne Notiz nahm, und als das geschah, war sie bereits unentbehrlich.
    Der Untersuchungsausschuß, der Ende März zusammentrat, befand, daß Charles sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht hätte. Das Disziplinarverfahren fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt; Giles erschien als Zeuge und erklärte dem Gericht, daß sein Neffe zur fraglichen Zeit unter großem seelischem Druck gestanden habe.
    Vernon Kell lobte Charles’ Loyalität und Disziplin und wies die Richter auf die inoffiziell verliehene Tapferkeitsmedaille hin.
    Die Geheimpolizei enthielt sich jeglicher Verdachtsäußerung, daß Charles irgend etwas mit dem Tod von Hanna Haas, anderweitig bekannt unter dem Namen Madeline Drew, zu tun hatte.
    Am sechsten Tag sprach das Gericht ihn schuldig, und Charles verbrachte eine unruhige Nacht, bevor das Urteil gefällt wurde. Er bekam eine strenge Verwarnung. Danach nahm er seinen Dienst wieder auf.
    «Ich hoffe, dies war Ihnen eine Lehre», sagte Kell zu ihm. «Wie hat Mildred es aufgenommen?»
    Charles sah ihn nicht an. «Mildred weiß von nichts. Sie ist sehr krank, Vernon, und ich benutze ihre Krankheit nicht als Ausrede. Sie ist wie ein brodelnder Vulkan, der jederzeit wieder ausbrechen kann. Es ist unmöglich, vorauszusehen, was in der nächsten Minute passiert.» Er machte eine verzweifelte Geste. Dann riß er sich zusammen und fragte seinen Chef, was seine nächste Aufgabe sei.
    «Etwas Ausgefallenes. Sie werden als unser Verbindungsmann bei unserem Freund Thomson bei der Geheimpolizei arbeiten.»
    «Und was soll ich da tun?»
    «Ihm auf der Pelle sitzen. Genau zuhören, was er sagt, beobach-ten, was er macht. Wir beide wissen, daß Basil Thomson den ganzen Rahm abgeschöpft und sich manchen Übergriff auf unsere Abteilung erlaubt hat. Er will einen erfahrenen Offizier haben, der ihm zur Hand geht. Und den soll er kriegen. Nämlich Sie.»
    Charles fragte sich, ob Basil Thomson von seiner Berufung wußte. Sehr entzückt würde er darüber jedenfalls nicht sein.
    An diesem Abend, als er nach Hause kam, beging er eine neue Torheit.
    Mildred war schon zu Bett gegangen. «Sie hat wieder einmal starke Kopfschmerzen, Sir», berichtete das junge Dienstmädchen. Er trank einen Kognak im Salon, und als er durch die Halle zu seinem eigenen Zimmer ging, bemerkte er einen am Boden liegenden Briefumschlag. Er war an ihn adressiert. Er machte ihn auf und nahm einen Bogen heraus, auf dem in sauberen Druckbuchstaben folgende Mitteilung stand: «Hanna Haas gebar in Deutschland ein Kind. Ihre Tochter. Sie ist in Sicherheit, wird es aber nur so lange sein, wie Sie unseren Anordnungen Folge leisten. Sie werden diesen Brief niemand zeigen. Sollten Sie es dennoch tun, muß Ihre Tochter sterben, und jedermann wird von Ihrem Fehltritt in Kenntnis gesetzt werden. Wir haben stichhaltige Beweise.»
    Charles ging in den Salon zurück und verbrannte den Brief. Seine Hände zitterten so stark, daß er sich nur mit Mühe ein zweites, großes Glas Kognak einschenken konnte. O Gott! dachte er, das Kind auf den Fotos. Sein Bastard, nein, sein Kind der Liebe, von der armen, bedauernswerten Madeline.

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