Eine ehrbare Familie
oder Schlimmeres. Aber du hast ja erlebt. Hier geht es wüst zu...»
«Ich war schon an anderen Orten, wo es wüst zugeht.»
«Ja, die in Rouen, wo die Soldaten sich einen antrinken. Das kommt dir schon wüst vor, nicht wahr? Mein lieber Schwan, du hast keinen Schimmer. Wenn Vater nach Hause gekommen wäre und ein Auge auf dich geworfen hätte... Ich mußte ihm mal ’ne Bratpfanne über den Schädel hauen... Aber nun sag mal, wo wohnst du, und was ist los?»
Sie gingen zurück ins Lime Street Hotel. Beim Tee erzählte Mary Anne ihre Geschichte. Aber sie fand wenig Mitleid bei Dora: «Also, ihr feinen Leute, ihr kostet mich wirklich den letzten Nerv. Nun hastes geschafft, daß man dich nicht abgemurkst hat, und dann läufste davon, weil Mutti sich wie ’ne blöde Kuh aufführt. Also du bist wirklich ’ne Primel. Du hast keine Ahnung, wie das Leben wirklich ist, nicht wahr?» Sie warf ihre Arme in die Höhe, wobei sie fast das ganze Teeservice umstieß, was ihr verächtliche Blicke der Kellnerinnen eintrug.
«Ich kann nicht die ganze Verantwortung für diese lausige Welt übernehmen, Mary Anne. Und sowieso fahr ich morgen fort, zu meiner Tante, bei der bleib ich bis zum Ende meines Urlaubs.» Sie sah Mary Anne an und lächelte. «Und du kommst mit. Tantchen wird dir gefallen. Sie wohnt in einem Dorf an der See, Cottage und Heckenrosen wie aus dem Bilderbuch. Ihr Mann fängt Krabben. Frische Butter, Eier, Milch und frische Luft, und nur die Vögel machen Krach. Nach einer Woche fühlste dich besser, das schwör ich dir. Also morgen früh, halb neun. Bahnsteig drei. Abgemacht?»
Sie verbrachten eine unvergeßliche Woche. Doras Tante entpuppte sich als eine pummlige Frau mit sonnengebleichten Haaren und einer Haut wie altes Leder. Sie nahm Mary Anne auf, als gehörte sie zur Familie. Und sie und Dora führten Mary Anne in ein Leben ein, das ihr fremd war, aber unendlich reizvoll erschien. Sie hatten schönes Wetter, machten lange Spaziergänge, saßen im Gras und beobachteten die Vögel und das ständig wechselnde Meer.
Am Ende der Woche lagen die beiden Mädchen auf ihren Betten in dem kleinen Zimmer, das sie teilten. Dora seufzte und wälzte sich hin und her, während Mary Anne auf dem Rücken lag und die Muster betrachtete, die der Mond auf die Zimmerdecke zeichnete.
«Kannst du nicht schlafen?» flüsterte sie.
«Es ist so heiß... und Montag muß ich nach Frankreich zurück. Wenn ich bloß an Oberschwester Price denke, wird mir schon schlecht, und dann der meckernde Sanitätsoffizier...»
«Worüber meckert er denn?»
«Behauptet, ich hätt’ ’nen schlechten Einfluß. Sie behalten mich nur, weil ich zupacke und ihnen Schwestern fehlen.»
«Warum bist du denn ein schlechter Einfluß?»
Dora kicherte. «Sie haben mich erwischt mit ’nem Offizier in der Abstellkammer.»
«Aber wegen ein wenig Knutschen können sie dich doch nicht entlassen.»
«Ach, mein süßer kleiner Unschuldsengel! Der Knutscher des Offiziers war tief in mir, als sie die Tür aufrissen. Kann kein sehr erhebender Anblick gewesen sein - Schwester Elliott mit hochgerafftem Rock und Leutnant Ponsonby-Smythe oder wie immer der Kerl hieß, kräftig mit Stoßen beschäftigt.»
«Aber Dora, du hast doch nicht etwa...»
«Natürlich. Ich hab’s dir doch eben gesagt. Und denk ja nicht, ich bin die einzige. Ich kenn ’ne Menge Krankenschwestern in Rouen, die den Genesenden dabei helfen, ihr Selbstvertrauen als Mann zurückzugewinnen, und die dabei selbst nicht zu kurz kommen. Und ehrlich gesagt, grad jetzt könnt’ ich einen gebrauchen.»
«Einen Mann?»
«Also bestimmt keinen Besenstiel! Tut mir leid, Mary Anne, du hast ’ne schlimme Erfahrung hinter dir, und du hast was gegen Ficken.»
«Du hast unrecht», erwiderte Mary Anne fast scharf. «Ja, die Vergewaltigung war grauenvoll. Aber unter uns beiden gesagt, ich kenne einen Mann, mit dem ich jederzeit ins Bett gehen würde.»
«Was du nicht sagst!»
Eine Weile lang schwiegen sie, dann fragte Mary Anne: «Wie ist es denn, ich meine, wenn es gut ist? Was fühlt man?»
«Komm zu mir, und ich Zeig’s dir. Zier dich nicht, komm schon. Es ist nicht so gut wie mit ’nem Mann. Aber ich kann dir was beibringen.»
Mary Anne stieg aus dem Bett, ihre Knie zitterten, als sie vor Dora stand. Ihre Freundin schlang die Arme um ihren Hals und zog sie zu sich hinab. Ihre Lippen berührten sich, und Doras Zunge glitt in Mary Annes Mund. Ihre Körper
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