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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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einen Moment lang stehen, um Malcolm zu verfluchen. Dann schleppte er sich zur Pferdetränke, um seine Kleider mit Wasser zu begießen.
    Er fluchte noch immer über das Wetter, Malcolm und über seine eigene Torheit.
    Es war töricht gewesen, Zeit mit dieser Frau zu vergeuden. Das wurde ihm jetzt, als das eiskalte Wasser durch den Stoff seiner Jacke drang, nur zu deutlich klar. Das war der Sex nicht wert gewesen. Genauso wie damals nicht mit dieser Gregor, nur daß sie eine willige Partnerin gewesen war.

24
    Denise Grenot war im Einsatz. C hatte beschlossen, es sei besser für sie, mit dem bereits etablierten, gut funktionierenden Agentennetz «Frankignoul» zu arbeiten. Sie wurde nach Holland geschickt und erhielt ihre Anweisungen in einem der «Frankignoul»-Häuser in Maastricht, denn die meisten Berichte kamen direkt von Lanaken an diese Zentrale.
    Eine Straßenbahn verband Maastricht und Lanaken, das Haupttransportmittel für die Kuriere. Denise machte ihre erste Kuriertour Ende Januar. Sie fuhr an einem Montagmorgen nach Belgien, kam am Donnerstag zurück und brachte eine Menge Informationen mit - teils aufnotiert, teils auswendig gelernt.
    Ihre Informationen waren von höchster Wichtigkeit für den Frühjahrsschlachtplan. Doch weder der französische Generalstab noch das englische Kriegsministerium nahmen von ihnen Notiz. C bezweifelte, daß sie je an das Oberkommando weitergereicht worden waren.
    Der «Professor» besuchte James weiterhin jeden Tag und setzte seine seltsamen Verhöre fort, bei denen er sich die Antworten auf seine eigenen Fragen selbst gab.
    Sie entwickelten eine gewisse Zuneigung zueinander und unterhielten sich oft über Musik.
    Dann, Ende Januar, als es so kalt war, daß James sich fragte, ob der Winter je enden würde, teilte ihm der «Professor» mit, daß sie sich bald trennen müßten.
    «Wohin schickt man Sie?» fragte James mit ehrlichem Bedauern.
    «Mich schickt man nirgendwohin.» Der «Professor» hob die Augenbrauen. «Sie werden verlegt.»
    James lachte. Er hatte seit Wochen so etwas erwartet. Sein Verstand sagte ihm, daß die Deutschen eines Tages die Geduld mit ihm verlieren würden. Nun, jetzt war es soweit. Und das war das Ende. James zuckte resigniert die Achseln.
    «Wird mir wenigstens vorher der Prozeß gemacht?»
    Der «Professor» schüttelte den Kopf. «Ich habe Ihnen doch schon gesagt, kein Mensch ist daran interessiert, Sie vor Gericht zu stellen.»
    «Man wird mich also einfach verschwinden lassen?»
    «Sie sind schon verschwunden. In London hält man Sie für tot.»
    «Mein Schicksal ist also eine Kugel in den Kopf und ein unmarkiertes Grab?»
    Der «Professor» schüttelte wieder den Kopf. «Begreifen Sie doch endlich, daß niemand Ihren Tod will. Sie stehen unter besonderem Schutz. Gehen Sie in Frieden.» Er klang wie ein Priester.
    Giles saß in seinem «Versteck», die Lampen leuchteten nur matt, auf dem Tisch lagen keine Landkarten. Er saß in diesen Tagen oft untätig da und sann nach wie ein grüblerischer Mönch. Aber er sann nicht über Religion nach, sondern über politische Ideologien, die Gesellschaft und die Zufälligkeit der Geburt. Aber seine Gedanken beschäftigten sich auch mit Intrigen, Verrat und Treuebruch und mit der Frage, wem ein Mann, der ein reines Gewissen haben will, zur Loyalität verpflichtet ’ist.
    Er hörte vage Geräusche und fragte sich, ob die Zeppeline wieder angriffen.
    Dann klopfte sein Diener Robertson an der Tür und rief: «Sir! Sir! Kommen Sie schnell, Sir!»
    Es dauerte eine Minute, bis ihm klar wurde, daß irgend etwas Außergewöhnliches passiert war. Er ging zur Tür, schloß sie auf und trat auf den Korridor.
    Er blickte über das Treppengeländer, erkannte die schmutzige, zerlumpte Gestalt aber nicht, die in der Eingangshalle stand.
    Erst auf der vorletzten Stufe sah Giles, daß der vermeintliche Landstreicher sein Sohn Malcolm war.
    «Heimgekehrt ist der Jäger.» Malcolms Stimme war voller Bitterkeit.
    «Eine gute Jagd gehabt?» fragte Giles ungerührt.
    Eine Woche später, am 21. Februar, als der Schnee zu tauen begann, eröffnete die mächtige deutsche Artillerie ihr Sperrfeuer bei Verdun und machte damit alle schlecht vorbereiteten alliierten Schlachtpläne zunichte.
    Das Morden begann aufs neue, und keine Spionageberichte von C oder anderen Dienststellen konnten es verhindern.
    Auch im Vereinten Königreich setzte das Tauwetter ein, und mit ihm kam die Nachricht, auf die Dick Farthing so lange gewartet hatte.

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