Eine ehrbare Familie
eingeladen, bevor seine Beförderung öffentlich bekanntgegeben wurde, um ihm mitzuteilen, daß sie Zusammenarbeiten würden.
Giles versuchte, wie immer sparsam mit Worten, seinen Neffen auf seine Seite zu ziehen. Am Ende seines Monologs kam er auf seinen Nachbarn Winston Churchill zu sprechen, mit dem er am Vorabend gegessen hatte.
«Und wie war er?» fragte John.
«Pessimistisch. Er hat Angst um Europa, mehr noch, um die ganze Menschheit.»
«Weltuntergangsprophezeiungen? Winston neigt gelegentlich zu Schwarzseherei.»
«Er meint, wir stünden vor einem Abgrund.»
«Unsinn.»
Giles hob die Augenbrauen. «Bist du so sicher? Er kann sehr überzeugend wirken. Er sagt, der König, der Kaiser, der Zar, der französische Präsident seien wie Nero, sie tändelten herum, während Europa zu einem Pulverfaß würde.»
«Zuviel Kognak. Er regt sich noch immer über den Balkan auf, nicht wahr?»
«Nicht nur über den Balkan.» Giles machte eine ernste Miene. «Er ist beunruhigt über den tiefen Graben zwischen der Aristokratie, dem Bürgertum und den wirklichen Armen in Europa, das Tempo der Aufrüstung in allen Ländern, die unstabilen Währungen und den Aufruhr, der in den Völkern gärt. Er fürchtet, daß wir auf einen grauenvollen Weltbrand zusteuern.»
«So ein Blödsinn. Große Vermögen werden verdient, der Handel blüht und gedeiht. Zugegeben, auf dem Balkan und sogar in Rußland gibt es einige Unruhestifter. Aber die Werften in Deutschland und England sind auf Jahre hinaus ausgelastet. Es gibt Arbeit für jeden, der zupacken will.» John Railton lächelte ein wenig herablassend, dachte Giles.
«Es wäre interessant zu wissen, wie viele Menschen im alten Rom ähnliche Bemerkungen gemacht haben, bevor das römische Weltreich unterging.»
Am gleichen Tag, an dem John und Giles Railton gemeinsam zu Mittag aßen, erschien in Redhill ein unangemeldeter Gast. Dick Farthing war gekommen, um James zu beruhigen. Farman würde selbst die Kosten für die abgestürzte Maschine übernehmen. Man mache James keine Vorwürfe, fuhr Dick fort, aber man riete ihm, die Anfangsgründe des Fliegens auf einer einfacheren Maschine zu lernen. «Sie haben mich ganz schön reingelegt, James.» Dicks braune Augen funkelten belustigt, und sein Mund verzog sich zu dem charakteristischen schiefen Lächeln.
James, von seinem Absturz noch immer reichlich angeschlagen, sagte: «Bitte, bleiben Sie wenigstens über Nacht. Sie müssen meine böse Stiefmutter kennenlernen. Sie ist eine tolle Frau.»
7
In England herrschte Frieden und Ordnung im Winter des Jahres 1910. Aber nicht in anderen europäischen Ländern. Churchills Befürchtungen erwiesen sich als wohlbegründet. Unter der ruhigen, geordneten Oberfläche brodelte es - die ersten untrüglichen Anzeichen eines kommenden Erdbebens machten sich bemerkbar.
Während des Februars dieses Jahres erschien beim deutschen Militärattaché in Paris und seinem Sekretär Klaus von Hirsch ein Besucher.
Der Neuankömmling aus Berlin war ein Offizier. Hauptmann Walter Nicolai. Er wurde höflich begrüßt und von Botschafter Baron Wilhelm von Schoen in Privataudienz empfangen, der ein offizielles Essen folgte. Danach wurde er an seine militärischen Kollegen verwiesen.
Und so kam es, daß er am Abend nach seiner Ankunft in Paris bei einer Flasche Schnaps mit dem Militârattaché und seinem Sekretär zusammensaß.
«Sie haben sich keinen üblen Posten ergattert, Nicolai», sagte der Attaché und hob sein Glas. «Sie machen also die Runde bei unseren ausländischen Botschaften? Klingt ganz nach Urlaub.»
«Es ist kein Urlaub, aber es ist Zeitvergeudung.» Walter Nicolai leerte sein Glas. «Würde es Ihnen gefallen, vor ausländischen Diplomaten zu katzbuckeln? Ich bin schließlich Soldat.»
Klaus von Hirsch lachte. «Sie werden sich schnell ans Katzbuckeln gewöhnen. Es hat schließlich auch seine guten Seiten. La ville lumière hat allerlei zu bieten. Wein, Weib und Gesang. In London geht es nicht so munter und frei zu. Sagten Sie nicht, Ihr nächstes Reiseziel sei London?»
Hauptmann Nicolai seufzte tief. «Leider! All diese hochnäsigen Engländer mit ihren frigiden Frauen.»
«Und das ungenießbare Essen.» Hirsch rümpfte die Nase.
Der Militârattaché zog eine Augenbraue hoch. «Klaus hat sich hier in Paris in eine sehr anziehende Engländerin verliebt.»
«Die mit einem Franzosen verheiratet ist. Mein Pech!» sagte Hirsch wehmütig.
Der Militärattache lachte, dann wandte er sich an
Weitere Kostenlose Bücher