Eine ehrbare Familie
sahen und hörten das kleinste Geräusch. Charles fühlte, daß sich jemand in seiner Nähe bewegte, und zog seinen Revolver aus dem Halfter. Aber es war nur Brian Wood. Er kam durchs Gras gekrochen und fragte Charles flüsternd, wie er die Lage beurteile.
«Entweder weiß er, daß wir hier sind, und will uns eine Lektion erteilen, oder er wartet auf irgend etwas, oder es gefällt ihm hier einfach.»
Wood nickte. Sie warteten weiter fast bis vier Uhr früh.
Dann geschah es, ohne Warnung. Charles hatte die zusammengekauerte Gestalt ständig im Auge behalten. Plötzlich erhob sie sich, der schmale Körper des Kellners zeichnete sich jetzt dunkel sandfarben gegen den Himmel ab. Wood und Charles erhoben sich ebenfalls.
Sklaves Haltung erinnerte an ein Tier, das Witterung aufnahm. Sein Kopf war leicht zur Seite geneigt. Dann hob er den rechten Arm und hielt ihn nach vorne ausgestreckt. Charles sah, daß er in einem Winkel von ungefähr fünfundvierzig Grad eindeutig aufs Meer wies. Dann strahlte das Licht auf wie ein Feuerstrahl in der Hand eines Zauberers: an-aus, an-aus, an-aus. Dann Dunkelheit.
Doch keine komplette Dunkelheit. Charles erspähte ein schwaches Aufleuchten am Himmel, direkt über ihm. In der nächsten Sekunde war es wieder verschwunden. Dann tauchte es wieder auf. Sklave knipste seine Taschenlampe erneut an, der Lichtstrahl wies in die Richtung, aus der das Aufleuchten gekommen war.
Als er das Geräusch vernahm, fiel es Charles schwer, es zu identifizieren - eine Art Klatschen, als schlüge der Wind gegen ein Segel. Das Geräusch wurde lauter, und dann sah er die Flugmaschine, die mit abgestelltem Motor zum Landen ansetzte. Der Pilot mußte in beträchtlicher Höhe über die Nordsee geflogen sein, um dann mit abgestelltem Motor auf die Küste zuzugleiten, wo er schließlich Sklaves Lichtsignale aufgefangen hatte. Eine bemerkenswerte Leistung. Charles fragte sich, wie oft der Pilot dieses Manöver schon durchgeführt hatte.
Mit lautem Aufprall landete die Maschine auf dem Golfplatz. Das Schwanzende schleuderte hin und her, während die Geschwindigkeit abnahm. Am Schluß wendete der Pilot das Flugzeug, so daß es wieder in seiner Anflugsrichtung stand.
Der Himmel hatte sich perlgrau verfärbt, und die ersten Streifen der Dämmerung durchzogen den Horizont. Das Flugzeug glich einem großen schwarzen Vogel mit rüsselartigem Schnabel. Eine Aviatik BII, hergestellt in Österreich, mit zwei Mann Besatzung, der imponierenden Geschwindigkeit von achtzig Stundenkilometern und vier Stundeft Flugzeit - gerade genug, um über die stürmische Nordsee hin- und zurückzufliegen.
Sklave stand jetzt am Flugzeugrumpf und half jemand aus der Pilotenkabine; zuerst wurde ihm eine Art Handkoffer übergeben, dann stieg eine Gestalt aus.
Sklave und sein neuer Begleiter aus den Wolken bewegten sich mit einer Präzision, die man sonst nur auf Exerzierplätzen sieht. Wood flüsterte: «Jetzt, Sir? Sollen wir sie verhaften?»
Charles flüsterte zurück: «Noch nicht. Am Piloten bin ich nicht interessiert. Lassen wir sie erst mal gehen. Wollen mal sehen, wohin sie uns führen.»
Einer der beiden Männer - es war unmöglich zu sehen welcher -hatte sich ans vordere Ende des Flugzeugs begeben. Schwer atmend drehte er zweimal am Propeller. Der Motor sprang mit einem so ohrenbetäubenden Brüllen an, daß Charles dachte, es müsse alle Toten im Friedhof von Cromer aufwecken.
Den Lärm ausnützend, sagte Charles zu Wood: «Können Sie Partridge finden?»
Wood nickte, sein Gesicht war in der Dämmerung bereits erkennbar.
«Dann sagen Sie ihm, er soll den beiden folgen. Ich muß wissen, was sie vorhaben. Berichten Sie alle halbe Stunde.»
Wood nickte wieder. «Und wo finde ich Sie?»
«Auf der Polizeistation. Aber verhaften Sie nur, wenn Schwierigkeiten entstehen.»
Wood entfernte sich, als das Flugzeug holpernd über das Gras rollte und schließlich mit einem Aufheulen des Motors abhob.
Der Lärm verebbte, das Flugzeug wurde kleiner, kurvte in die Höhe und nahm Kurs auf seine Heimat.
Charles war so fasziniert, daß erst der Laut von Stimmen ihn in die Wirklichkeit zurückversetzte. Joost van Sklave und sein Begleiter stapften über das Gras und kamen direkt auf ihn zu. Charles legte sich flach auf die Erde, und Sklave und der Neuankömmling gingen dicht an ihm vorbei. Sklave sprach ein schnelles, aufgeregtes Deutsch.
Die Polizeireviere in England sind berühmt für ihren guten Tee. Um halb acht Uhr früh, nachdem
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