Eine ehrbare Familie
stationiert war, wurde herbeigeholt und biwakierte unauffällig auf der anderen Seite von Overstrand. Die Männer wurden mit Munition ausgestattet, aber der Kommandeur gab nur die allernotwendigsten Instruktionen.
Um zehn Uhr abends traf der Bericht ein, daß Sklave anscheinend ziellos in die Richtung von Overstrand schlenderte.
Kurz vor elf Uhr sah Charles, der vor dem Hotel auf Posten stand, wie die junge Miss Drew heraustrat und die Küstenstraße entlang zum Haus der Churchills ging.
Wood beschattete Sklave, und Charles konnte deutlich Dobbs auf seinem üblichen Posten sehen. Charles beschleunigte seinen Schritt auf der anderen Straßenseite, überholte die Frau, um mit Dobbs zu sprechen, bevor sie das Haus erreichte. «Sie haben hier polizeiliche Vollmacht», sagte er atemlos. «Wenn Miss Drew auch nur die Hand auf die Klinke des Gartentors legt, nehmen Sie sie fest.»
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als sie sahen, daß die Frau beabsichtigte, das Haus zu betreten. Sie schritt lässig auf das Eisentor zu, das zu den Stufen vor der Eingangstür führte.
«Jetzt, Dobbs!» Sie liefen über die Straße, um ihr den Weg abzuschneiden.
Ihre Hand lag schon auf der Klinke des Eisentors, als sie die beiden Männer kommen sah. Ihr Ausdruck verriet Erstaunen. Charles stellte in diesem Moment fest, wie attraktiv sie war. Als die beiden Männer sie fast erreicht hatten, tat sie das einzig Logische. Sie drückte unbekümmert die Klinke hinunter.
Dobbs kam gerade noch rechtzeitig, um sich zwischen sie und die Stufen des Hauses zu stellen. «Tut mir leid, Miss, aber ich darf Ihnen nicht erlauben weiterzugehen.» Sein Tonfall war fast onkelhaft.
«Warum denn nicht? Wer sind Sie überhaupt? Wie können Sie es wagen, mich aufzuhalten?»
Charles hatte sich ihr lautlos von hinten genähert und sah, wie sie einen kleinen Beutel unauffällig in ein Blumenbeet des Vorgartens gleiten ließ.
«Ich bin Polizeibeamter, Miss...» fuhr Dobbs fort.
«Aber ich muß in dieses Haus, ich...»
Charles holte den Beutel zwischen den Rosen hervor und sprach zum ersten Mal: «Es tut mir leid, Miss Drew, aber wir müssen Sie bitten, uns aufs Polizeirevier zu folgen.»
Sie wandte sich ihm voll zu. Ihre Augen waren auffallend - ein helles Haselnußbraun, fast grün - und ihr weiches Haar hatte einen goldenen Glanz. «Aufs Polizeirevier?» Ihr Lachen paßte zu ihrem Äußeren, es war melodisch, kein albernes Kichern, sondern weich klingend wie die mittleren Saiten eines Cellos.
«Ich nehme an, Sie sind auch Polizeibeamter.» Ihr Tonfall war herablassend. «Nun, zu Ihrer Beruhigung. Ich habe bei meinem letzten Besuch bei Mrs. Churchill eine wertvolle Brosche verloren, die ich mir abholen will.»
«Wir werden die Sache mit der Brosche klären, Miss Drew - auf dem Polizeirevier.»
Charles musterte die junge Frau. Sie sprach akzentfreies Englisch. Ihr graues Sommerkleid war dezent elegant. Sie hatte eine leichte Stupsnase und die Angewohnheit, ihre Lippen ironisch zu kräuseln. Jetzt zuckte sie die Achseln und sagte: «Nun, ich habe immer die Gesetze eingehalten, und Sie scheinen das Gesetz zu vertreten...» Ihre Selbstkontrolle und Unverfrorenheit nötigten Charles Respekt ab. Und sogar als sie das Polizeirevier erreichten, hatte sie nichts von ihrer Würde eingebüßt. Dobbs blieb in einem kleinen Verhörzimmer mit ihr zurück, während Charles sich auf die Suche nach einer Polizeibeamtin machte.
Bevor er ins Verhörzimmer zurückkehrte, untersuchte er den kleinen Beutel. Er enthielt ein Fläschchen Chloroform und eine Anzahl von Watte- und Gazetupfern.
Im Verhörzimmer stand Dobbs mit der Polizeibeamtin an der Tür. Charles setzte sich der jungen Frau gegenüber und begann zu sprechen.
«Ich möchte erst mal klären, daß ich kein Polizeibeamter bin. Mein Name ist Charles Rathbone. Ich gehöre dem militärischen Geheimdienst an. Ich habe nicht das Recht, Anklage gegen Sie zu erheben, aber ich habe das Recht, Sie zu verhören. Und ich muß Sie warnen, daß die Polizei auf Grund der neuen Sicherheitsgesetze Anklage gegen Sie erheben wird.»
Sie blickte ihn verwirrt an. «Aber was soll ich denn verbrochen haben?» Unter anderen Umständen hätte ihr Protest überzeugend geklungen. «Ich bin hier kurz in den Ferien und war auf dem Weg zu Mrs. Churchills Haus, um zu fragen, ob meine Brosche gefunden wurde. Ist das ein Verbrechen, Mr. Rathbone?»
«Ihren vollen Namen, bitte...»
«Was werfen Sie mir vor?»
«Ihren Namen, bitte.»
Nach
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