Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
Vom Netzwerk:
Joel geht wieder hinein. Plötzlich schaudert es ihn bis ins Innerste. Wird dieser Konflikt in einen Krieg der Kinder ausarten? So war das nicht gedacht. Joel muss zugeben, dass Herman Harjulas vorwurfsvolle Spitzen und Weltuntergangsvisionen allmählich eine ziemlich deprimierende Wirkung auf sein Gemüt haben.
    Passend dazu schrillt das Telefon. Um diese Zeit kann das nur Unannehmlichkeiten bedeuten. Wie wäre es, einfach nicht abzunehmen? Der Anrufer weiß ja nicht, dass noch jemand hier ist.
    Joel nimmt den Hörer ab.
    »Hallo. Ein Gespräch vom Stab in Salo.«
    »Ich nehme es an.«
    »Genosse Tammisto? Joel?«
    Es ist Selmas Stimme. Aber vom Tonfall her nicht die Stimme von vor zwei Monaten, an die er sich erinnert. Wenn sie sich hin und wieder auf den Gängen oder im Büro des Stabs in Salo begegnet sind, hat sie kein Wort zu ihm gesagt, sondern nur unfreundlich genickt. Seit Kriegsausbruch ist sie im Stab so gut wie nicht mehr aufgetaucht. Joel hat gehört, sie sei beim Gardekommandanten Luukkonen in Ungnade gefallen. Nachdem sie zuvor dessen absolute Favoritin unter den weiblichen Untergebenen gewesen sei.
    Wie auch immer, jedenfalls ruft sie jetzt von dort aus an.
    »Ja, ich bin’s.«
    »Selma Viitanen hier.«
    Ihre Stimme klingt auf eine Art zerbrechlich, die für Joel kein bisschen zu der resoluten Person passt.
    »Das habe ich schon erkannt.«
    »Störe ich Sie bei der Arbeit?«
    Joel weiß nicht, was er antworten soll, weshalb er nichts sagt. Auch aus dem Hörer kommt eine Weile nichts als der Atem von Selma.
    »Ich rufe in Lebensmittelangelegenheiten an.«
    »Ja?«
    »Hören Sie … Ich bin … Ich bräuchte …«
    Selma ist also in Not. Vielleicht hungert sie gar, denkt Joel. In diesen Tagen ist es für niemanden gut, in Ungnade zu fallen. Erst recht nicht für eine alleinstehende Frau. Wohingegen Joel Tammisto, der noch vor zwei Monaten, vor Ausbruch des Krieges, nur der stellvertretende Kommandant der Roten Garde eines erbärmlichen Dörfchens und ein Verrückter, der wegen fliegender Maschinen herumsponn, war, sich plötzlich auf dem Gipfel der lokalen Macht sonnt.
    Was kann eine verzweifelte Frau da anderes tun, als sich zu demütigen und ihn um Hilfe zu bitten? Und ein Mann mit Anstand hat keine Wahl, als ihr gegenüber barmherzig zu sein.
    »Ich kenne Ihr Anliegen«, sagt Joel ins Telefon. »Und Ihre Bedürfnisse. Ich komme morgen nach Salo. Sie können ganz unbesorgt sein. Es wird sich alles regeln.«

Sakari, 34
    Salo, Februar 1918
    »Lindroos, Lauri … Salin, Viki, ja, solche Männer sind gestern in die Garde aufgenommen worden. Und sofort an die Front geschickt worden«, sagt Luukkonen und schließt das schwarz eingebundene Buch.
    »Das sind keine Männer. Der eine ist ein Bursche von vierzehn Jahren. Und der andere ist auch noch keine achtzehn.«
    Joel übernimmt das Reden. Sakari hat beschlossen, dass ein Mann in seiner Gemütsverfassung besser nicht den Mund aufmacht. Ein Vater, der die ganze Nacht auf seinen plötzlich verschwundenen Sohn wartet, ist über solche Mitteilungen nicht erfreut, wenngleich durchaus erleichtert, weil das Kind anscheinend vorläufig noch am Leben ist. Bis spät in die Nacht hinein haben sich Sakari und Saida gegenseitig beteuert, Viki sei mit Lauri auf irgendeine Samstagabendveranstaltung geraten, habe vielleicht zum ersten Mal im Leben das Schnapsglas angesetzt oder gleich die Starkbierkanne und traue sich deshalb nicht zur vereinbarten Zeit nach Hause.
    In der Nacht, als die Temperatur unter 25 Grad minus fiel, wollte ihnen beiden der Schlaf nicht kommen. In ihren Gedanken geisterten alte Geschichten von erfrorenen Jungen aus dem Dorf herum, die ihren ersten Experimenten mit Alkohol erlagen. Am Sonntagvormittag erschien dann Lennu Lindroos mit düsterer Miene in ihrer Küche und überbrachte die Nachricht, die Jungen seien am Vortag gesehen worden, wie sie in Salo aus dem Fotogeschäft kamen, mit roten Bändern an den Ärmeln und russischen Militärgewehren samt Rattenschwanzbajonett über der Schulter.
    Sakari nahm den Tretschlitten und fuhr auf der Stelle zu Joel, der die Angelegenheiten des Lebensmittelkomitees neuerdings hauptsächlich von der Kanzlei am Bahnhof Halikko aus erledigte. Sakari wusste, dass Joel sich auch jetzt dort aufhielt, obwohl Sonntag war. Als Sakari außer Atem die Neuigkeiten von Lennu Lindroos erzählte, spürte Joel einen Stich im Herzen, weil er weder seinem Freund noch seinem Schwiegervater von Lauris und Vikis Bitte, in die

Weitere Kostenlose Bücher