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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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Antworten.
    Joel fragt sich, warum die Männer in den Uniformen noch immer in den unsinnigen Unterlagen blättern. Natürlich hat er Getreide beschlagnahmt. Das gehörte damals ja zu seinen Aufgaben. Raub war das nicht. Mit ganzen Eisenbahnladungen musste er Turku und Tampere ernähren. So war es ihm befohlen worden. Was sollte das denn für ein Verbrechen sein, das Ernähren hungriger Menschen? Warum fingen die Herren immer wieder mit diesen Tonnen von Roggen an? Und den paar Dutzend Pferden. Mit deren Hilfe Unglückliche versuchten der blinden Rache zu entkommen.
    Anstatt auf das Getreide und die Pferde sollten die Herren lieber ihre Aufmerksamkeit darauf richten, was gerade eben über ihren Köpfen passiert. Ist denn keinem von ihnen aufgefallen, dass gerade eben ein Narr über sie hinweggeflogen ist, dessen Schädelinhalt die Amtsgewalt viel eher untersuchen müsste? Begreifen die Herren Ankläger und Richter überhaupt, dass jener Wahnsinnige am Steuer eines vom Wind gebeutelten Doppeldeckers sitzt und mit aus gutem Grund gerunzelter Stirn die immer näher rückenden Bäume, Sträucher und Gräser im Seewind ins Auge fasst? Auf der Stirn und unter den Achseln jenes Mannes müssen sich mindestens ebenso viele Schweißperlen gebildet haben wie bei Joel. Mit vollen Umdrehungen lässt sich gut starten und fliegen, aber irgendwann kommt immer der Moment, in dem man landen muss.
    Aber nein, die Herren im Saal verstehen davon offenbar nichts. Sie kommen nicht auf den Gedanken oder sie wissen nicht Bescheid. Niemand hat ihnen den Sachverhalt geschildert.
    Joel hebt die Hand und bittet um das Wort.
    Diese Dummköpfe, die ein Todesurteil nach dem anderen produzieren, sollen wenigstens erfahren, wie alles angefangen hat:
    Zunächst einmal, vergesst um Himmels willen endlich Finnland und Halikko. Reden wir über die Jungs, die in Dayton in den USA aufwuchsen. Dort wurden sie groß, Orville und Wilbur, denen die Schule nicht schmeckte, obwohl sie Pastorenkinder waren. Unsereinem hätte sie geschmeckt, bloß hat man nicht hingehen dürfen. Aber die Schlingel interessierten sich für ganz andere Dinge als für Pult und Kreide. Sie sprangen vom Schuppendach und ließen selbstgebaute Drachen fliegen.
    Alles fing damit an, dass Vater Wright von einer Reise ein Spielzeug mitbrachte, das bloß mit Hilfe von Propeller und Gummiband bis an die Decke flog. Da musste gleich herausgefunden werden, warum das Ding so funktionierte, wie es funktionierte. Einen besseren Zeitvertreib gab es nicht. Sie werden fragen, was ich davon halte. Ich denke, mit diesem Mitbringsel hat Papa Wright in die Scheiße gelangt und wir alle mit ihm! Warum hat er ihnen so ein Ding und der ganzen Menschheit ein großes Unglück mitgebracht? Konnte der Herr Papa nicht den Kartenstock auf den Hinterteilen seiner Erben tanzen lassen, wo ihnen das Lesen nicht gepasst hat? Ich hätte ihn tanzen lassen, den Stock. Und wäre selbst zur Schule gegangen. Aber unsereiner hatte keine Gelegenheit. Und dieser Herr Papa belohnt die Unglücklichen auch noch mit einem fliegenden Dingsda!
    Und pfeift auf die Folgen. Wenn ihr mich fragt, dann sag ich: den Arsch versohlen und lieber die Bengel unter einer Zeitung auf der Straße schlafen und sich ihr Essen in den Mülltonnen suchen lassen. Dann wäre ihnen die Lust aufs Fliegen vergangen, und der Welt wäre viel Schlimmes erspart geblieben. Aber hat er die Burschen auf die Straße gesetzt? Nein, unsere Buben müssen doch einen Zeitvertreib haben dürfen! Was kann man von einem Mann anderes erwarten, der schon bei der Namensgebung gestümpert hat? Orville und Wilbur, sind das denn Menschennamen? Ich würde keinen Hund so nennen. Keinen Hund, ja nicht mal eine Katze, verdammt! Hört ihr, ihr Herren Richter und Ankläger? Ihr Ohrenkrüppel hört ja nichts. Ihr hört nicht mal, wie der eine Unglückliche brummend und knatternd da oben herumfliegt, mit einer Ledermütze auf dem blöden Schädel und einer Brille zwischen Augen und Wirklichkeit.
    Ist Papa Wright je in den Sinn gekommen, was es für Folgen hat, wenn man verantwortungslose Hirngespinste erlaubt und finanziert? Er hätte es, zum Donnerwetter, bei dem Propellerspielzeug belassen und den Stock zum Tanzen bringen sollen. Aber nein, er musste den Burschen noch Holz und Musselinstoffe besorgen. Und ihnen erlauben, die Werkstatt zu benutzen, wo die Wahnsinnigen Bögen aus Eschenholz bastelten und darauf den Tragflächenstoff spannten, der den Apparat in der Luft halten sollte.

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