Eine eigene Frau
hatte. Am Rand standen außerdem Wörter wie »falsch«, »Blödsinn« oder »Lüge«, mal durch drei, mal durch fünf Ausrufezeichen bekräftigt. Als Letztes kam, nach der vaterländischen Schlusshymne des Verfassers, eine wütend gefasste Synthese: »Da gibt’s keine Ideen!«
Arvi war auch der zweifellos seltsame Umstand aufgefallen, dass ein Mann aus Marttila in Halikko ermordet und eine Woche später ein Mann aus Halikko nach Marttila gebracht worden war, um ihn dort zu töten. Penkere war von Turku gekommen, wo man ihn unsanft über die versteckten Waffen des Schutzkorps verhört hatte, die es laut Mikkola ja nicht gab. Arvi schrieb an den Rand: »Die Fliegenden von Turku!«
Aus einer anderen Quelle wusste ich, dass es sich dabei um ein berittenes Kommando handelte, das unter dem Vorwand der Auskundschaftung ganze Landstriche terrorisierte.
Von Turku war Penkere zurück nach Marttila geschickt worden, aber aus unbekannten Gründen hatte er zusammen mit einigen Begleitern den Zug in Halikko verlassen. Am nächsten Tag fand man ihn erschossen in einem Waldstück unweit des Bahnhofs auf.
Zwei Tage darauf holten sechs unbekannte Rote den Verwalter Munck im Gutshaus Joensuu ab. Muncks Leiche war von Bajonetten durchbohrt, als man ihn nach einer Woche in Marttila fand, in der Nähe der Ziegelei, wo Penkere als Disponent tätig gewesen war. Wieder hatte Arvi etwas mit Rot an den Rand geschrieben: »Geld!« Spielte er damit womöglich auf jene Gelder an, mit denen Waffen für das Schutzkorps angeschafft werden sollten?
Mikkolas Sprachgebrauch ist von Anfang bis Ende befremdlich hochpatriotisch, aber beim Lesen wuchs in mir die Überzeugung, dass er ein rechtschaffener Mann gewesen war, geradezu idiotisch ehrlich, was mich auf die Zeugniskraft des Textes vertrauen ließ. Außerdem schien Mikkola tief religiös gewesen zu sein. Als die roten Vernehmer in seiner Tasche ein Gebetbuch finden und ihn fragen, was er damit anfange, antwortet er: »Das ist meine Zuflucht, wenn alles um mich herum ins Schwanken gerät!«
Ich fragte mich, warum Arvi diese Erinnerungen aufbewahrt hatte und warum er dadurch in so starke Aufregung versetzt worden war. Ich rechnete aus, dass er 1918 21 Jahre alt gewesen war. Vielleicht war er doch keiner gewesen, der immer nur von außen zusah, wie ich es mir bisher vorgestellt hatte. Wenn er es aber nicht war, worin konnte dann sein Anteil an der beschriebenen Tragödie bestanden haben?
1904
19. Januar. Sakari Salin wird ein Junge geboren.
9. Februar. Japanische Torpedoboote greifen die Russen in Port Arthur an.
Am 10. Februar erklärt Japan Russland den Krieg.
21. Februar. Kriegsminister Aleksej Kuropatkin wird Oberbefehlshaber der Mandschurischen Armee.
28. Februar. Der Pfarrer von Angelniemi taufte den Jungen der Salins. Es wurde ein Viki.
6. März. Mit Sakari 2 Reusen an der Spitze der Halbinsel Raitniemi unterm Eis aufgestellt.
Am 18. März brach die untere Walze der mittleren Gattersäge.
21. April. Bei Peksala ist das Meer offen. Brachte mit dem Kahn 5 Reusen hinaus.
13. Mai. Mit Sakari auf dem Land der Salins Kartoffeln gelegt.
16. Juni. Generalgouverneur Bobrikow wurde erschossen. Der Schütze Eugen Schauman brachte sich mit zwei Kugeln ins Herz um.
30. Juni. Der Direktor 6 Tage am Stück besoffen und die Hosen vollgeschissen.
3. Juli. Holte die Reusen ein.
15. Juli. Bunter Abend der Garde. Reichlich Betrunkene.
16. August. Pflückte 20 Liter Blaubeeren.
Am 20. September flog Wilbur Wright mit der Flyer 2 ums Areal. Die Brüder haben jetzt einen neuen Motor mit 16 Pferdestärken Leistung und haben außerdem in der Maschine ein Gegengewicht eingebaut. Pflückte 30 Liter Preiselbeeren im Wald bei Pärnäspää.
5. Oktober. Fitolf Lehtonen griff mit der Hand in die Gattersäge. Sammelte Pilze im Wald bei Immala.
17. Oktober. Erntete noch Kartoffeln auf dem Land von Sakari Salin.
23. November. Die letzten Dampfer heute nach Vartsala.
4. Dezember. Der Kapitän der Orion tötete den Kapitän der Vester.
21. Dezember. Die russische Flotte lief in Port Arthur aus, der japanischen Flotte entgegen.
Saida, 8
Vartsala, August 1904
»Hör auf zu schreien«, fährt Agnes Jonsson Saida an, als sie die bitter riechende Salbe auf dem verbrannten Bein des Mädchens verteilt.
»Frau Jonsson sieht doch, dass es ihr furchtbar wehtut«, sagt Emma und tätschelt ihre blasse Tochter.
Agnes schüttelt den Kopf. Dass die sich immer verletzen müssen. Am Abend war ein junger Bursche
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