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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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Flügel eines Vogels auf und ab flattern im Takt der ulkigen Stimme.
    Ja, ja, zischt Frau Jonsson, das hätte sich Emma überlegen sollen, als sie sich drauf eingelassen hat, jetzt sei es für Reue zu spät. Was für eine Erleichterung glaube sie denn von Agnes Jonsson zu bekommen, die eine gesetzeshörige und gottesfürchtige Frau sei.
    Die Mutter antwortet nicht darauf. Sie weint.
    Die Mutter weint.
    Saida merkt, wie ihre Augen trotz des Kicherns feucht werden. Nein, die Mama darf nicht weinen. Niemand auf dieser Welt darf ihre gute, liebe Mama zum Weinen bringen.
    Warum habe sie denn zugelassen, dass der Herman sich an ihr vergreift?, will die Stimme von Frau Jonsson wissen.
    »Die Frau Jonsson kennt doch die Männer.«
    Saida öffnet die Augen und versucht den Blick auf die streitenden Frauen vor dem Fensterglas in der Tür einzustellen. Mutters gesenkter Kopf und Frau Jonssons nach hinten zuckender Schädel sehen aus wie Pappfiguren aus dem Krippenspiel in der Sonntagsschule.
    »Weiß der Herman wenigstens, was er wieder fertiggebracht hat?«, fragt die alte Frau.
    »Ich hab ihm nichts gesagt, weil er halt einen Sohn … Aber ich darf kein Kind mehr kriegen … Als die Siiri auf die Welt kam, hat die Hebamme gesagt, beim nächsten Mal bedeutet es den Tod.«
    Saida versucht aufzustehen. Von was für einem Kind wird da eigentlich geredet? Und warum ist Frau Jonsson so böse auf die Mutter?
    Saida kommt es allmählich so vor, als wäre die Frau, die da vor der Tür so wütend ihre Mutter schilt, gar nicht mehr die Frau Jonsson, sondern die unfreundliche Herbergsmutter von Bethlehem im Krippenspiel, die der armen kranken Maria keinen Platz in ihrer Herberge gibt, sondern sie zwingt, zu den Tieren in den Stall zu gehen, um dort die Geburt des Kindes zu erwarten.
    Saida spielte den Engel, der die große Freude verkündet, und was sie bei der Aufführung sehr wütend machte, war, dass der liebe Gott die herzlose Herbergswirtin überhaupt nicht bestrafte. Obwohl Maria wegen ihr das kleine Jesuskind in der Futterkrippe auf Stroh betten musste.
    Saida versteht nicht ganz, wie Maria den kleinen Jesus eigentlich zur Welt gebracht hat, aber eines weiß sie: Immer wenn eine von den Nachbarinnen ein Baby bekommt, kochen die Frauen Wasser und holen saubere Laken aus dem Schrank. Es wäre ganz schön ungehörig, wenn man auch nur eine der Mütter in einen widerlichen Viehstall schicken würde. Ein solches Unrecht plagte Saida, und sie konnte unmöglich begreifen, warum der allmächtige Gott seinen Engeln nicht befohlen hatte, die Übeltäterin zu bestrafen. Schließlich waren die Engel die himmlischen Heerscharen, und außerdem hatte ein Engel ja auch mit Jakob gerungen.
    Als das Krippenspiel vor Publikum aufgeführt wurde, konnte sich Saida nicht mehr beherrschen. Sie ging zu Fanny, die die Herbergswirtin spielte, und kniff sie. Es war nicht besonders fest, Fanny weinte nicht einmal, aber der Lehrer fand, Saida habe sich für einen Engel unpassend benommen. Zur großen Schande ihrer Eltern musste sie nach dem Krippenspiel eine halbe Stunde nachsitzen. Sie selbst aber bereute ihre Tat nicht, sondern saß mit stolz erhobenem Kopf auf ihrem Platz, noch immer im weißen, aus einem Laken gemachten Umhang, mit Watteflügeln und glitzerndem Haarband.
    Saida denkt oft an die seltsame Genugtuung zurück, die sie empfand, als sie an ihrem Pult saß und ihrer Meinung nach zu Unrecht verurteilt worden war. Sie hatte richtig gehandelt, der Lehrer falsch. Sie hatte schließlich nur versucht, Maria und das kleine Jesuskind zu verteidigen.
    Jetzt erwacht erneut der Racheengel in ihr. Er erwacht mit der Kraft des Pulvers, das Agnes den holländischen Seeleuten abgekauft hat, und schwingt sich kraftvoll auf. So kraftvoll kann nur ein Stoff sein, der berauschend duftenden Pflanzen aus fernen Gebirgen extrahiert worden ist.
    Als die Frauen, die sich vor der Tür beraten, durch die Scheibe ins Zimmer blicken, sehen sie nur die gekrümmte Gestalt des Mädchens schlaff in der Sofaecke sitzen, noch immer in demselben schläfrigen Zustand wie vorhin. In Wirklichkeit schwebt der Engel Saida der Decke entgegen und streckt die Hand in die Höhe. Und von dort oben reicht ihr die Hand Gottes etwas Helles und Heißes, etwas so Glühendes und Funkensprühendes, dass man nicht hinschauen kann. Aber Saida muss es nicht sehen, um zu wissen, was es ist.
    Sie versteht glasklar, dass Gott für so einen Moment damals das sich aufbäumende Pferd angehalten hat.

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