Eine eigene Frau
zum Flicken dagewesen, der es fertiggebracht hatte, zwei Finger in die Säge zu stecken, und bei dem das Blut dermaßen spritzte, dass erst um Mitternacht alle Teppiche gewaschen und die Bretter gebohnert waren.
»Au …«
»Natürlich tut das weh, sonst würde sich ja jeder Schlauberger von Berufs wegen mit kochendem Wasser übergießen!«, sagt Agnes. Wer hat denn befohlen, am Sonntag Seife zu kochen? So etwas bestraft der Herr im Himmel sofort. Und mit gutem Grund. Was wäre das für ein Gott, der darauf pfeift, dass man seine Gebote bricht! Wenn es richtig wehtut, reicht außerdem die Kraft nicht mehr für unnötiges Zeug wie Flennen. Wenn einem Sägewerkarbeiter die Hand in die Gattersäge gerät, dann schreit er, bis er ohnmächtig wird. Sie hat es schon oft genug gehört.
Agnes schüttet etwas weißes Pulver aus einer Papiertüte, vermischt es mit Weizenmehl und etwas Wasser und rollt das Ganze auf dem Handrücken zu einer erbsengroßen Kugel. Agnes ist alt und klein, ihre silbergrauen Haare hat sie exakt beiderseits des Kopfes gescheitelt und im Nacken zu einem kunstvollen Dutt zusammengefasst. Ihr schwarzes Kleid schützt sie mit einer weißen, gestärkten Schürze.
Sie befiehlt dem Mädchen, den Mund aufzumachen, und schiebt die Kugel unter die Oberlippe. Dann bückt sie sich nach dem Laken, das sie in kaltes Wasser gelegt hat, wringt es aus und faltet es zu einem akkuraten Umschlag, den sie um das verbrannte Bein wickelt.
Saida hört auf zu weinen. Der Schmerz lässt sofort nach, das Brennen auf der Haut verwandelt sich in eine seltsame Kühle, die bald ihren ganzen Körper in Besitz nimmt.
Die Mutter hat ihr erzählt, Frau Jonsson freue sich, ab und zu Schwedisch reden zu können. Saida findet, dass Frau Jonsson die ganze Zeit nur böse ist und sich über gar nichts freut. Sie stammt aus Schweden, wo der verstorbene Maschinenmeister Jonsson, als er noch auf Schiffen arbeitete, sie überredete, ihn zu heiraten und mit nach Finnland zu kommen, in dieses entsetzlich rückständige Land, in dem Agnes, ihren eigenen Worten zufolge, nie heimisch geworden ist und es auch nie werden wird.
Nachdem die Wunde versorgt ist, beugt sich die Mutter über Saida, tätschelt ihr den Kopf und lächelt auf die künstlich muntere Art, die das Mädchen zu fürchten gelernt hat. Es ist dazu gedacht, die Kinder oder die Nachbarn zu täuschen, aber Saida weiß, dass diesem gezwungenen Gesichtsausdruck üblicherweise ein unbändiger Tränenausbruch folgt. Kurz darauf flüstert Emma auch schon Agnes etwas ins Ohr, worauf sich deren Miene weiter verfinstert. Sie macht mit dem Kopf eine vielsagende Kopfbewegung in Richtung Flur.
Sie verschließt die Salbendose und stellt sie zu Dutzenden gleichartiger Döschen in die schöne Vitrine. Die beiden Frauen gehen in den Flur hinaus. Saida bleibt auf dem Rand des ausziehbaren Sofas sitzen, sie lässt die Rocksäume herab und lehnt sich gegen die sorgsam bestickten grünen Kissen. Vor dem Fenster sieht man einen Streifen der Meeresbucht; das Wasser wellt sich leicht wie ein unübersehbares Kornblumenfeld. Kinder huschen aus den Schatten der dicht belaubten Bäume.
Die ganze Landschaft und auch das Zimmer fangen in ihrem Sehfeld sonderbar an zu schwanken. Saida schließt die Augen, sieht aber hinter den geschlossenen Lidern dennoch Farbtupfer schweben. Der Geruch aus den Medikamentendöschen und der durchs offene Fenster dringende Duft von gebratenen Rüben ziehen ihr eigentümlich verlockend in die Nase. Normalerweise mag sie keine Rüben, und vor Medikamentengeruch hat es sie immer geekelt.
Vom Bootsschuppen her hört man das Gelächter der alten Männer, die dort sitzen. Saida versteht nicht, was sie reden und worüber sie lachen, aber auch sie muss plötzlich schrecklich anfangen zu lachen. Vor der Tür tuscheln die Frauen weiter. Die Stimme der Mutter steigt an und klingt nun auf komische Art flehend. Der Inhalt ihrer Worte ist kaum zu verstehen, aber schon das Gemurmel klingt lustig. Saida hält die Hand vor den Mund und prustet.
Die Stimme von Agnes hingegen wird immer durchdringender.
Emma braucht gar nicht erst glauben, dass sie, Agnes, sich als Christin in etwas einmischt, was der Herr für gut hält. Emma selbst hat herumgemacht, was das Zeug hält, und nun muss sie auch die Konsequenzen tragen. Hört um aller Wetter willen auf, Unmögliches zu verlangen und lasst einem alten Menschen seine Ruhe!
Die Mutter tuschelt etwas. Saida merkt, wie ihre Arme von selbst wie die
Weitere Kostenlose Bücher