Eine eigene Frau
trotz meiner Entscheidung, in diesem Leben nicht mehr nach der Kelle zu greifen. Für den Broterwerb werde ich es auch nicht tun, aber schließlich braucht das Häuschen eine ordentliche Feuerstelle. Im Schuppen stapeln sich zig Kubikmeter Brennholz, hauptsächlich Birkenscheite. Sie sind trocken geblieben und noch immer brauchbar. Es wäre eine idiotische Verschwendung, sie nicht zu verwenden, bloß weil ein funktionierender Ofen fehlt. Im kommenden Winter wird sich das Heizen mit dem Ofen auf der Stromrechnung bemerkbar machen.
Arvis Lebensgeschichte fasziniert mich nun immer mehr. Er hat sehr wenige Dokumente hinterlassen. All die Belege, Fotos, Rechnungen, Notizzettel und dergleichen Papierkram, wie man ihn oft in Nachlässen findet, fehlt hier fast völlig. Der Mann hat Zeit gehabt, sich auf seinen Tod vorzubereiten und zu entscheiden, was von ihm zurückbleiben soll.
Gestern Abend bin ich Arvis kleine Bibliothek durchgegangen und habe dazu ein paar Bier getrunken. Und ja, den einen oder anderen Schnaps habe ich zum Runterspülen auch gekippt. Seit dem Morgen hatte ein starker Wind geweht und Regen hinter sich hergezogen. Die Bäume sind noch immer unbelaubt, aber für nächste Woche ist wärmeres Wetter mit Sonne angesagt. Dann nehme ich mir neben ein paar kleineren Steinjobs auch die Arbeit auf meinem Grundstück vor.
Es waren zwei, drei Regalmeter an Büchern da, die meisten auf Schwedisch. Vielleicht sollte ich in der Freizeit mein schwaches Schulschwedisch aufbessern? Ein gutes Wörterbuch steht bereits im Regal. Von den finnischen Büchern sind die meisten ebenfalls Lehrbücher, wie Axel Alftans Werk Unsere Pferdeaufzucht aus dem Jahr 1910. Der Untertitel lautete Allgemeine Maßnahmen zur Förderung der Pferdeaufzucht sowie die Pflege von Zuchtpferden und die Aufzucht von Fohlen und weckte in meinem betrunkenen Kopf die findige Idee, ein Pferd für das leere Grundstück anzuschaffen. Vermutlich ist es heutzutage verboten, ein Pferd ohne normgerechten Stall zu halten. Das Pferd müsste wohl zum Beispiel fließendes Wasser haben, auch wenn sein Besitzer keines hat. Außerdem, was sollte ich mit einem Pferd anfangen? Immerhin hätte ich dann ein lebendes Wesen in meiner Nähe, zu dem ich sprechen könnte und das mir treue Blicke schenken würde.
Als ich hier und da in dem Pferdeführer blätterte, wurde mir schnell klar, dass ich mir für wesentlich weniger Geld die abgöttische Freundschaft eines Hundes beschaffen könnte.
Ein brauchbareres Opus wird vielleicht das Kochbuch der Gräfin Eva Mannerheim-Sparre aus dem Jahr 1936 sein, das sich laut Untertitel an Feinschmecker und gewöhnliche Hungrige richtet. Auf der ersten Seite ermuntert die Gräfin daher dazu, sämtliche Formen von Pillen, Diäten und Selbstkasteiungen zu vergessen.
All das klingt großartig, aber die folgende Anweisung, nämlich gleichgesinnte Gäste um einen Tisch zu versammeln, ist schon schwerer in die Tat umzusetzen. Nicht dass ich überhaupt keine Freunde hätte, aber sie leben alle ihr eigenes, hektisches Leben, weit weg von diesem Dorf. Die Vorstellung, ein paar Gäste einzuladen und eine Feier zu veranstalten, finde ich aber trotzdem schön.
Das aufmerksame Blättern in den Rezepten machte mich allerdings nachdenklich. Im Namen der Mäßigkeit empfiehlt die Gräfin, bei einem Abendessen nicht mehr als acht Gänge aufzutragen, angefangen bei einer Suppe, über Fisch, Entrée und Horsd’œuvre zu Wild oder anderem Fleisch, weiter zu etwas Süßem, vielleicht zu einem Eis. Die Zubereitung von Suppe oder Fleisch beginnt mit einer Schemazeichnung, wie man Schlachttiere zerlegt. Ein Rezept fängt so an: »Man nehme ein halbes Kalb …« Ich verstehe allmählich, wie wohlhabende Hausfrauen und ihre Dienerschaft in den vergangenen Jahrhunderten ihre Tage verbrachten.
Aber was um Himmels willen fing ein Einsiedler wie Arvi mit einem solchen Buch an?
Interessierte sich Arvi Malmberg wirklich für arabischen Ochsenbraten, für Roastbeef Bercy, für Court Bouillon oder für Forelle Müllerin? Wohl kaum. Man findet auf den Buchseiten keine Teigflecken, es gibt keine Eselsohren bei den Lieblingsrezepten und auch sonst keine Anzeichen dafür, dass jemand das Buch beim Kochen benutzt hätte. Es konnte ebenso wenig ein Geschenk von Pflegemutter Eilin Malmberg gewesen sein, die einst Köchin im Herrenhaus gewesen war, denn im Jahr 1936 lebte sie schon lange nicht mehr. Ein Geschenk hat das Kochbuch natürlich dennoch sein können. Von Mamu
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