Eine eigene Frau
es vollkommen gewichtslos geworden ist, kann er tun, was er tun muss. Dann dürfen ihn keine sinnlosen Rachegedanken mehr beherrschen und das Geschehnis darf nicht mehr seinen ganzen Kopf ausfüllen. Er muss fähig sein, nie, niemals mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Und natürlich muss er in der Lage sein, ruhig zu bleiben, auch wenn die Angelegenheit zu gegebener Zeit natürliche Folgen haben sollte.
Ja, erst wenn er Gewissheit über seine innere Ruhe erlangt hat, kann Sakari es wagen, um Saida Harjulas Hand anzuhalten.
Saida, 19
Vartsala, Oktober 1915
Es blendet. Die niedrige Oktobersonne scheint Saida direkt ins Gesicht. Sie legt die Hand als Schirm über die Augen, um nicht blinzeln zu müssen. Sakari tritt neben sie, Saida drückt sich an seine Hüfte. Die Hochzeitstorte ist angeschnitten, nun ist der richtige Moment, sich den ungeladenen Gästen, die sich vor dem Haus herumtreiben, zu zeigen.
Sakari verteilt Zigaretten an die auswärtigen Waldarbeiter, und Saida bietet den umherlaufenden Kindern Bonbons an. Sie hat das dezente, zurückhaltende Lächeln der frischgetrauten Braut mehrmals vor dem Spiegel geübt, glaubt aber, so verrückt vor Glück, wie sie sich fühlt, so breit zu grinsen wie ein Pferd, sodass man ihre Zähne und sicher auch das Zahnfleisch sieht.
Sobald die Blechdose mit Bonbons leer ist, verlieren die Kinder das Interesse an dem Brautpaar und jagen sich wieder gegenseitig. Auch die Männer, die ihren Rausch vertuschen, begeben sich wieder in ihre eigene Runde und rauchen.
Saida wirft einen Blick auf Sakari, der sich ebenfalls eine ansteckt. Sein Anzug ist ein Modell aus Amerika, vom Bruder Viki aus New York geschickt. Saida findet, dass Sakari darin erschütternd gut aussieht. Sie möchte nicht wieder zu den geladenen Gästen im Genossenschaftshaus zurück und zieht ihn mit sanfter Gewalt in eine Ecke der Terrasse.
»Es juckt mich im Nacken. Ist da ein Knopf auf?«
»Ich sehe nichts.«
Saida hat ihrem Mann den Rücken zugewandt, sie spürt seinen Atem auf der Wange. Sakari riecht nach Seife, Schneiderei und Zigaretten.
»Du bist nicht nahe genug dran.«
Sakari steht ein bisschen hilflos und ohne Regung da. Saida dreht sich um und drängt sich fest an ihn. Mit den Lippen berührt sie seinen Hals, aber der Mann begnügt sich damit, steif ihren Rücken zu tätscheln, als beruhige er ein übermütiges Kind. Saida geniert sich. Auch dass die Unterhose, die ihre Mutter sorgfältig bestickt hat, ein bisschen feucht wird, kommt ihr unpassend vor, fast wie eine böswillige Sabotage der unermüdlichen Hochzeitsanstrengungen von Emma Harjula.
Als Saida sich von Sakari löst, fällt von dessen Zigarette Glut auf ihr Hochzeitskleid. Er schnippt sie mit dem Finger weg, doch es ist zu spät. Die Glut hat ein Loch in das helle Musselinkleid gebrannt.
»Scheiße. Entschuldigung. Hat’s wehgetan?«
Saida schüttelt den Kopf. Sakaris Schreck rührt sie.
»Verdammte Scheiße aber auch. Entschuldigung. Entschuldigung.«
»Ach. Halb so schlimm. Tante Olga hat Nadel und Faden.«
»So? Na, aber trotzdem …«
Wie ein kleiner Junge, der etwas angestellt hat, drückt der Mann das Loch mit Daumen und Zeigefinger zusammen.
»Kann man das reparieren?«
»Natürlich. Ist eine Kleinigkeit.«
Das Kleid ist aus naturweißem Musselin. Irgendwann im Frühjahr fiel ihr Blick in Tante Olgas Musterheft auf das Bild einer Braut im weißen Spitzenkleid. Die Tante hatte erklärt, in besseren Kreisen bevorzuge man bei Hochzeiten neuerdings Weiß, wie in Amerika, die Farbe der Unschuld. Von jenseits des Ozeans, aus New York, kämen jetzt alle Neuerungen, da Paris wegen des Krieges nicht mehr das Zentrum der Mode bilden könne. Der Rock des Kleides müsse breiter, aber kürzer sein, sodass man die Fesseln sehe. Was wiederum Anforderungen an die Schuhe stelle. Diese müssten höhere Schäfte haben und am besten auch weiß sein. Nur Banausen vom Land wollten noch immer im schwarzen Kleid getraut werden, ganz gleich, wie es um die Unschuld der Braut bestellt sei.
Nachdem Sakari um ihre Hand angehalten hatte, wusste Saida sofort, dass sie im weißen Kleid heiraten wollte, aber ihre Mutter war strikt dagegen.
»Aha, ich soll also wie ein Banause vom Land aussehen. Weiß ist viel schöner.«
»Genau, das ist jetzt in Mode«, pflichtete Olga bei.
»Großer Gott! Du solltest dir auch ein bisschen überlegen, was du von dir gibst, Olga!«
Das Entsetzen der Mutter kam Saida ziemlich überzogen vor.
»Muss eine
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