Eine Evatochter (German Edition)
Spion, ein Richter oder ein alter Staatsmann, und so konnte sie alles herausfinden. Sie kannte die Kniffe, die man den Lieferanten gegenüber anwendet, und deren Kniffe, kannte den Preis aller Dinge wie ein Taxator. Wenn sie auf ihrer Chaiselongue hingegossen lag, wie eine weiße, frische, jung verheiratete Frau, in der Hand eine Rolle, die sie lernte, so konnte man sie für ein sechzehnjähriges Kind halten, naiv, unwissend, schwach, ohne andre Waffen als ihre Unschuld. Kam aber ein lästiger Gläubiger herbei, so richtete sie sich auf wie ein überraschtes junges Wild und stieß einen richtigen Fluch aus.
»Nun, mein Lieber, Ihre Unverschämtheiten sind Zinsen genug für das Geld, das ich Ihnen schulde,« sagte sie dann. »Ich hab' es satt, Sie zu sehen. Schicken Sie mir einen Gerichtsvollzieher, den seh' ich lieber als Ihr blödes Gesicht.«
Florine gab reizende Diners, regelrechte Konzerte und Abendgesellschaften, bei denen höllisch gespielt wurde. Ihre Freundinnen waren samt und sonders schön. Nie erschien eine alte Frau bei ihr; Eifersucht war ihr unbekannt, vielmehr sah sie darin ein Geständnis eigner Minderwertigkeit. Sie hatte mit Coralie und der Torpille verkehrt; sie verkehrte mit Tullia, Euphrasia, Aquilina, Madame du Val-Noble und Mariette – all den Frauen, die wie Sommerfäden durch Paris ziehen, und von denen man nicht weiß, woher sie kommen und wohin sie gehen, heute Königinnen, morgen Sklavinnen – daneben mit den Schauspielerinnen, ihren Nebenbuhlerinnen, mit Sängerinnen, kurz mit der ganzen weiblichen Halbwelt, die so wohltuend, so anmutig in ihrer Sorglosigkeit ist und deren Zigeunerleben alle mitreißt, die sich in den wirren Tanz ihres schwungvollen, leidenschaftlichen, zukunftverachtenden Daseins verstricken lassen. Obwohl das Zigeunerleben sich in ihrem Hause in seiner ganzen Regellosigkeit austobte und die Künstlerin aus voller Kehle darüber lachte, hatte sie doch ihre zehn Finger und konnte so gut rechnen wie keiner ihrer Gäste. Hier wurden die geheimen Saturnalien der Literatur und Kunst im Verein mit Politik und Finanz begangen. Hier herrschte die Begierde als unumschränkte Herrin; hier waren Spleen und Laune ebenso geheiligt, wie bei einer Bürgerfrau Ehre und Tugend. Hier erschienen Blondet, Finot, Etienne Lousteau, ihr siebenter Liebhaber, der für den ersten galt, der Feuilletonist Felicien Vernou, Couture, Bixiou, früher Rastignac, der Kritiker Claude Vignon, der Bankier Nucingen, du Tillet, der Komponist Conti, kurz, die verteufelte Schar der wildesten Rechner auf allen Gebieten, ferner die Freunde der Sängerinnen, Tänzerinnen und Schauspielerinnen, mit denen Florine verkehrte. Diese ganze Gesellschaft liebte oder haßte sich, je nach den Umständen. Diese banale Stätte, zu der jede Berühmtheit Zutritt hatte, war gewissermaßen das verrufene Haus des Geistes und das Bagno der Intelligenz. Man betrat es nur, wenn man regelrecht sein Glück gemacht, zehn Jahre im Elend gelebt, zwei oder drei Leidenschaften erwürgt, irgendeine Berühmtheit erlangt hatte, sei es durch Bücher oder Westen, durch Dramen oder eine schöne Equipage. Hier beschloß man die schlechten Streiche, die gespielt werden sollten, ergründete die Mittel, wie man sein Glück macht, spottete der Aufstände, die man tags zuvor erregt hatte, wog die Hausse und Baisse ab. Beim Fortgehen legte ein jeder wieder die Livree seiner öffentlichen Meinung an; hier konnte er, ohne sich bloßzustellen, seine eigne Partei kritisieren, die Kenntnis und das gute Spiel seiner Gegner zugeben, Gedanken aussprechen, die niemand eingesteht, kurz alles sagen, wie Leute, die alles tun können. Paris ist der einzige Ort auf der Welt mit solchen neutralen Häusern, wo alle Neigungen, alle Laster, alle Meinungen unter Wahrung der Form Zutritt finden. Und darum ist es noch nicht gesagt, daß Florine eine Schauspielerin zweiten Ranges bleibt.
Florines Leben ist zudem weder müßig noch beneidenswert. Viele werden durch das prächtige Piedestal bestochen, das die Bühne einer Frau bietet, und sie wähnen, sie lebte in einem ewigen Karnevalstaumel. In vielen Portierslogen, unter dem Ziegeldach mancher Dachkammer träumen arme Geschöpfe nach der Rückkehr vom Theater von Perlen und Diamanten, von goldgestreiften Kleidern und prachtvollen Halsketten. Sie sehen sich mit lichtumstrahlten Haaren, wähnen sich beklatscht, gekauft, angebetet, entführt, aber nicht eine kennt das Leben eines Zirkuspferdes, das die Schauspielerin
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