Eine ewige Liebe
ich einen Nachmittag lang Sprints auf dem Basketballplatz hingelegt. Ich hatte keineAhnung, wie viel Zeit in derAnderwelt vergehen würde, bis Lena meine Botschaft zu Gesicht bekam.Aber ich zweifelte keine Sekunde daran, dass sie sie lesen würde.
Auf Lena konnte ich mich verlassen.
Zurück in derAnderwelt landete ich vor unserem Haus oder dem Grab meiner Mutter, je nachdem wie man es nennen wollte – und wäre fast über ihn gestolpert. Er lag auf derTürschwelle und wartete schon auf mich.
Lena hatte den Stein auf das Grab meiner Mutter gelegt, wie ich sie gebeten hatte.
Ich konnte kaum fassen, dass es tatsächlich geklappt hatte.
Der schwarze Stein aus Barbados, den ich täglich an Lenas Halskette gesehen hatte, lag mitten auf dem Fußabtreter.
Ich hatte das zweite Flussauge.
Erleichterung durchströmte mich – allerdings nur ungefähr fünf Sekunden lang. Dann dämmerte mir, was das für mich hieß.
Ich konnte endlich los. Es war Zeit zumAbschiednehmen.
Was hielt mich also noch zurück?
»Ethan.« Ich hörte die Stimme meiner Mutter, aber ich blickte nicht auf.
Ich saß auf dem Boden imWohnzimmer, mit dem R ücken gegen die Couch gelehnt. Gedankenversunken spielte ich mit dem Haus und demAuto, beides verlorengegangeneTeile unsererWeihnachtsstadt. Ich konnte mich an dem kleinenAuto gar nicht sattsehen.
»Du hast das grüneAuto wiedergefunden. Ich hab es so lange gesucht.«
Sie gab keineAntwort. Ihre Haare waren noch wirrer als sonst und ihr Gesicht war verweint.
Ich hatte keineAhnung, wieso sie dieWeihnachtsstadt auf dem Couchtisch aufgebaut hatte.Vorsichtig stellte ich das Haus zurück und schob das winzige grüneAuto über denTisch.Weg von den Spielzeugtieren, der Kirche mit dem schiefenTurm und dem Pfeifenputzer-Baum.
Wie gesagt, Zeit zumAbschiednehmen.
Seit ich erfahren hatte, welche Herausforderungen zwischen mir und meinem alten Leben standen, wollte einTeil von mir nur noch davonrennen und sich verstecken. Einem anderenTeil war alles egal, solange ich nur zurück zu Lena konnte.
Aber im Moment konnte ich bloß daran denken, dass ich Mom nicht ein zweites Mal verlieren wollte. Daran, wie sehr ich sie vermisst hatte und wie schnell ich mich wieder an ihrenAnblick im Haus und an das Knarzen ihrer Schritte im Nebenzimmer gewöhnt hatte. Ich war mir nicht sicher, ob ich das je wieder aufgeben konnte – egal wie sehr ich mich nach meinem alten Leben sehnte.
Also saß ich einfach nur da, starrte das alteAuto an und fragte mich, wie etwas, das so lange verschollen gewesen war, plötzlich wieder auftauchen konnte.
Mom holte tief Luft, und ich schloss schnell dieAugen, bevor sie etwas sagen konnte. Doch sie ließ sich nicht beirren. »Ich bezweifle, dass es eine besonders kluge Entscheidung ist, Ethan. Ich halte es für äußerst gefährlich, und ich finde nicht, dass du gehen solltest. Egal was deineTate Prue sagt.« Ihre Stimme zitterte.
»Mom.«
»Du bist erst siebzehn.«
»Nein, bin ich nicht. ImAugenblick bin ich gar nichts.« Ich sah zu ihr auf. »Tut mir leid, aber findest du nicht auch, dass es für dieseAnsprache ein bisschen zu spät ist? Du musst doch zugeben, dass jetzt nicht der Moment ist, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob meine Pläne gefährlich sind oder nicht. Jetzt, wo ich tot bin und alles.«
»Na ja, wenn du es so direkt ausdrückst …« Seufzend setzte sie sich neben mich.
» Wie sollte ich es sonst ausdrücken?«
»KeineAhnung. Heimgegangen ?« Dabei musste sie fast lächeln.
Ich lächelte halbherzig zurück. »Entschuldigung, ich meinte natürlich, jetzt, wo ich heimgegangen bin.« Sie hatte recht – man sagte nicht tot, jedenfalls nicht da, wo wir herkamen. DasWort war taktlos.Als würden die Dinge erst dadurch, dass man sie beim Namen nannte, wahr.Als wären dieWorte machtvoller als die Dinge selbst.
Vielleicht waren sie das ja auch.
Im Grunde genommen war genau das mein Problem – ich mussteWorte auf einer Seite eines Buches in einer Bibliothek ausradieren, die mein Schicksal für immer verändert hatten.War es da wirklich so weit hergeholt, dassWorte das Leben eines Menschen prägen und formen konnten?
»Du weißt nicht, worauf du dich einlässt, Liebling.Wenn ich selbst schon früher daraufgekommen wäre, müsstest du jetzt nicht hier sein. Es hätte keinenAutounfall und keinenWasserturm gegeben …« Sie hielt inne.
»Du kannst mich nicht vor allem bewahren, Mom. Selbst wenn es schlimme Dinge sind.« Ich lehnte den Kopf gegen das Sofa.
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