Eine ewige Liebe
versank beinahe in seiner langen R o be, die viel zu groß für ihn war – genau wie der kunstvoll geschnitzte Stuhl, auf dem er saß. Mit gefalteten Händen stützte er sich auf die Ellbogen. » Wa s willst du jetzt schon wieder, Xavier?«, fragte er ungeduldig.
Xavier fuhr sich mit den Händen durch das dunkle Haar und über sein Gesicht. Seine grünen Augen flackerten nervös, als er sich im Raum umblickte. Ihm war deutlich anzusehen, wie sehr ihm vor diesem Gespräch graute. Er zwirbelte die Kordel seiner R o be im Schoß. »Es tut mir leid, dass ich dich damit behelligen muss. Aber in letzter Zeit bin ich auf gewisse Missstände aufmerksam geworden – Gräueltaten, die unsere Gelübde verletzen und den Auftrag der Hüter in Gefahr bringen.«
Angelus blickte ihn gelangweilt an. » Welche Gräueltaten meinst du, Xavier? Hat etwa jemand aus unseren R eihen vergessen, ein Protokoll abzuheften? Den Halbmond-Schlüssel für eine Caster-Bibliothek verlegt?«
Xavier straffte sich. »Ich spreche nicht von verlegten Schlüsseln, Angelus. In den Kerkern unter der Wacht ist etwas im Gange. Nachts höre ich Schreie, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.«
Angelus winkte ab. »Vermutlich hatte jemand einen Albtraum. Nicht alle dürfen sich einem so seligen Schlaf hingeben wie du. Und manche von uns haben den Hohen Rat zu leiten.«
Xavier schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
»Ich war unten, Angelus. Ich habe es gesehen – ich weiß, was sie dort verbergen. Die Frage ist, weißt du es auch?«
Angelus beugte sich drohend nach vorne, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Und was genau glaubst du dort gesehen zu haben?«
Xaviers Au gen spiegelten seinen Zorn unverhohlen wider.
»Hüter, die sich auf finstere Mächte einlassen – sich schwarzer Magie bedienen, als wären sie Dunkle Caster. Die Experimente an den Lebenden durchführen. Ich habe genug gesehen, um zu wissen, dass du handeln musst.«
Angelus wandte Xavier den R ücken zu und drehte sich zum Fenster, das den Blick auf die gewaltigen Bergketten um die Hohe Wacht freigab. »Diese Experimente, wie du sie nennst, sind nur zu ihrem Besten. Es herrscht Krieg, Xavier. Krieg zwischen Lichten und Dunklen Castern, und die Sterblichen werden zwischen den Fronten zermalmt.« Er wandte sich um. » Willst du sie sterben sehen? Kannst du das verantworten? Und findest du nicht auch, dass dich deine Handlungen in der Vergangenheit schon genug gekostet haben?«
»Zu deinem Besten«, stellte Xavier richtig. »Das ist es doch – nicht wahr, Angelus? Die Sterblichen stehen zwischen den Fronten. Und du? Bist du etwa kein Sterblicher mehr?«
Angelus schüttelte den Kopf. » Was das angeht, werden wir wohl nie einer Meinung sein.« Mit dumpfer Stimme begann er die ersten Worte eines Caster-Spruchs zu sprechen.
» Was hast du vor?« Xavier richtete sich auf. »Du willst einen Caster-Bann sprechen? Das ist nicht richtig. Wir sind das Gleichgewicht – wir überwachen die Aufzeichnungen und bewahren die Chroniken. Hüter und Bewahrer dürfen die Grenze zur Welt der Magier und Monster nicht überschreiten!«
Angelus schloss die Augen und fuhr fort, dunkle Beschwörungen zu murmeln.
Xaviers Haut färbte sich schwarzgrau, als würde sie von einem Feuer versengt.
» Was tust du?«, schrie er.
Das Schwarz fraß sich wie ein Ausschlag über den Körper und die Haut glättete und straffte sich auf eine entsetzlich unnatürliche Weise. Xavier brüllte vor Schmerz, versuchte, seine eigene Haut aufzureißen.
Als Angelus das letzte Wort des Banns sprach und die Augen aufschlug, fielen Xaviers Haare bereits büschelweise aus.
Er lächelte beim Anblick des Mannes, den er gerade vernichtete. »Sieht ganz so aus, als wärst du derjenige, der eine Grenze überschreitet.«
Xaviers Glieder dehnten sich und zogen sich unnatürlich in die Länge. Man hörte seine Knochen knirschen und splittern. »Vielleicht solltest du dich mit der Welt der Monster vertraut machen. Jetzt, wo du selbst ein Teil davon bist.«
Xavier sank auf die Knie. »Bitte. Ich flehe dich um Gnade an …«
Angelus richtete sich vor dem Hüter auf, den er bis zur Unkenntlichkeit entstellt hatte. »Dies ist die Hohe Wacht. Erhaben über die Welten von Sterblichen und Castern. Die Gelübde sind meine Worte, die Gesetze sind meine Entscheidung.« Er stieß Xaviers verunstalteten Körper mit der Fußspitze an und rollte ihn zur Seite.
»Hier gibt es keine Gnade.«
Die Bilder verblassten und versanken
Weitere Kostenlose Bücher