Eine ewige Liebe
wollte – so wie wir alle.
Wie Dunkel kann so jemand sein?
Die Neue Ordnung war der beste Beweis. Wir hatten einen Preis dafür bezahlt – Ethan hatte ihn bezahlt. Seither wussten wir, dass die Dinge nicht so einfach waren, wie sie auf den ersten Blick aussahen.
Habe ich mich selbst nicht auch für Licht und Dunkel entschieden?
»Bist du dir sicher, dass du da reingehen willst?« John hatte mein Zögern bemerkt.
Worin lag der Unterschied zwischen Ridley und mir?
Er versetzte mir einen Stoß. »Erde an Lena. Mach irgendwas, damit ich weiß, dass du mich hörst, sonst lasse ich dich nicht in die Höhle des Löwen.«
Ich riss mich zusammen. »Alles in Ordnung. Geh ruhig.«
»Ich gebe dir genau fünf Minuten, verstanden?«, sagte er.
»Ich brauche nur vier.«
Er verschwand, und ich war allein, um mit meiner Cousine fertigzuwerden. Dunkel oder Licht. Gut oder böse. Oder vielleicht irgendetwas dazwischen.
Ich musste mir eine bessereAusgangsposition verschaffen, deshalb schnappte ich mir eineWeinkiste, schob sie direkt unter das Fenster und stieg darauf. Die Kiste wackelte zwar, aber ich schaffte es, das Gleichgewicht zu halten.
Die Sicht war immer noch nicht gut genug.
Also schön, wenn’s unbedingt sein muss …
Ich schloss dieAugen, hob die Hände und streckte mich gedanklich zur Decke hoch. Das Licht fing an zu flackern.
Na bitte, schon besser.
Fliegen war nicht gerade mein Ding, aber hier ging es zum Glück nur ums Schweben. Meine Füße in den Chucks hoben sich ein kleines Stück von dem wackligen Untergrund.
Nur noch ein kleines bisschen höher. Ein einziger ausführlicher Blick auf das, was sich hinter derWand befand. Dann würde ich wissen, ob meine Cousine für immer verloren war. Ob sie sich dem Dunkelsten Inkubus aller Zeiten angeschlossen hatte und niemals zu uns zurückkehren würde.
Nur ein Blick.
Ich glitt nach oben, bis ich fast auf gleicher Höhe mit dem kleinen Fenster war.
Da sah ich sie – die raumhohen Gitterstäbe, hinter denen Ridley sich befand. Gitterstäbe aus Gold.
Der sprichwörtliche goldene Käfig.
Ich traute meinenAugen kaum. Ridley lümmelte also nicht faul herum und schwelgte inAbrahams Luxus, sondern saß in einem Gefängnis.
Rid drehte sich um und unsere Blicke trafen sich. Sie sprang auf und rüttelte an den Gitterstäben. Einen Moment lang sah sie aus wie eine ramponierteTinkerbell, das Gesicht von schwarzerWimperntusche und rotem Lippenstift verschmiert.
Sie hatte geweint.Aber das war noch nicht alles.An ihrenArmen waren Blutergüsse, besonders an den Handgelenken. Blutergüsse, wie sie von Fesseln oder Ketten oder Handschellen verursacht wurden.
Der Raum, in dem sich ihr Gefängnis befand, gehörte vermutlichAbraham und sah aus wie das Schlafzimmer eines verrücktenWissenschaftlers. Die Einrichtung bestand aus einem einzelnen Bett und einem übervollen Bücherregal.Auf einem hohen Holztisch reihten sich Gegenstände, wie man sie in einem Chemielabor fand.Wirklich seltsam war jedoch, dass die zwei Seiten des Fensters nicht übereinstimmten. Sie waren nicht deckungsgleich, sondern irgendwie verschoben. Der Blick durch das Kneipenfenster war wie der Blick durch ein schmutzigesTeleskop, bei dem man die Entfernungen nicht richtig einschätzen konnte.Abrahams Unterschlupf konnte an jedem beliebigen Ort in diesem Universum sein; wo genau, ließ sich von hier aus nicht feststellen.
Aber darauf kam es nicht an.Wichtig war einzig und allein Ridley. Sie in diesem Zustand zu sehen, war schrecklich.Ausgerechnet meine sorglose, unbekümmerte Cousine. Für sie musste es besonders grausam sein.
Ich spürte, wie meine Haare anfingen, in der Caster-Brise zu wehen.
» Aurae Aspirent
Ubi tueor, ibi adeo.
Wehe,Wind,
Trag mich dorthin, wohin mein Blick fällt.«
Ich fing an, ins Nichts zu verschwinden. DieWelt um mich herum wich, und als ich wieder festen Boden unter den Füßen spürte, stand ich neben Ridley.
Allerdings außerhalb des goldenen Käfigs.
»Cousinchen!Was machst du denn hier?«, rief sie und streckte ihre Hände mit den langen pinkfarbenen Fingernägeln durch die Gitterstäbe.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen, Rid.Wie geht es dir?« Zögernd trat ich an das Gitter. So gern ich meine Cousine hatte, so wenig konnte ich das, was passiert war, vergessen. Sie hatte sich für das Dunkle entschieden und uns im Stich gelassen – Link, mich, uns alle. Es war unmöglich vorauszusehen, auf welcher Seite sie jetzt stand.
Sie würde immer unberechenbar
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