Eine fabelhafte Liebesgeschichte (German Edition)
fahren.“
Beide schlossen ihre Augen und konzentrierten sich. Es funktionierte! Auf einem gelben Tandem fuhren sie auf einer breiten Mauer. Rundherum war kilometerweit Gebirge und Wälder, die dieses jahrhundert alte Überbleibsel einrahmten. Mittendrin verlief die endlose Mauer. Es ging auf und ab. Manchmal sogar so steil, dass sie theoretisch abrutschen müssten. Alle physikalischen Gesetzte hatten keinerlei Bedeutung in ihrer eigenen Welt. Sie spürten weder Anstrengung noch Hitze. Mal fuhren sie unglaublich schnell und ein anderes Mal im Schneckentempo- ohne dabei umzufallen.
Die Maus saß hinter dem Tiger und kratzte ihn immer wieder am Rücken. Sie navigierte mit ihren langen Krallen ein bisschen. Die linke Schulter signalisierte eine Neigung nach links und die andere Schulter nach rechts. Die Mauer war allerdings ein bisschen wie die Gleise eines Zuges. Jegliche Richtung war vorgegeben und konnte nur in der Neigung ein bisschen geändert werden. Starkes Kratzen bedeutet schneller fahren und die sanfte Variante bremsen.
Ohne abgesprochen zu haben, funktionierte es hervorragend. Irgendwie automatisch.
Der Wald war nun verschwunden. Von einem Moment auf den anderen änderte sich die Kulisse komplett, ohne jeglichen Übergang. Nun umsäumten hunderte Reisfelder die schier endlose Mauer. Katzen mit merkwürdigen Kopfbedeckungen ernteten die Früchte aus den Feldern. Sie standen bis zu den Knien im grünlichen Wasser und konzentrierten sich mit großer Sorgfalt auf ihre Arbeit. Das Winken des Tigers war hier total überflüssig. Jede geerntete Pflanze wuchs sofort wieder nach, was dieser schier endlosen Arbeit eine absurde Note verpasste. Die vollen Körbe wurden ununterbrochen gefüllt, allerdings schien sich der Inhalt nicht zu verändern.
„Wie trostlos!“ sprach die Maus und kratze nun wesentlich stärker.
Die Katzen arbeiteten total synchron. Es hatte den Anschein, als ob eine von ihnen auf tausende Leinwände projiziert wurde.
Dieses absurde Bild ermutigte den Tiger sich zu kneifen, doch gerade noch rechtzeitig fiel ihm wieder sein ursprüngliches Vorhaben ein, sodass er knapp am Ende des Traumes vorbeischrammte.
Die Mauer machte nun wilde Kurven durch die Reisfelder. Immer wieder war das gleiche Bild zu sehen. „Fahren wir im Kreis?“ Die Maus trat kräftiger in die Pedale und erhöhte erneut die Intensität ihres Kratzens. Plötzlich verschwanden die Reisfelder. Wie in einem Bilderbuch war diese Seite verschwunden und ein komplett neuer Anblick umgab die chinesische Mauer und das rote Tandem.
„Nanu! Das Tandem wechselt seine Farbe!“ sprach der Tiger
Die Mauer verlief nun über einen riesigen See- vielleicht ein Meer. Fischerboote kreisten ziellos durch die endlosen Weiten dieses Gewässers. Es steckte kein System dahinter. Total wirr fuhren sie Kreise, Zickzack und sogar rückwärts. Wessen Gedanken waren wohl so ziellos?
Die Schiffe rammten sich, ohne dabei Schaden zu nehmen. Sie hatten große Ähnlichkeit mit einem Schwarm aus Kaulquappen, die gerade das Fortbewegen lernten.
Das Tandem fuhr immer weiter. Immer schneller. Die Seiten des Bilderbuchs flogen nun an ihnen vorbei. Die Landschaften änderten sich fast wie im Sekundentakt. Um nicht gänzlich durchzudrehen blickten die beiden nur noch auf die Mauer, die die einzige Konstante in diesem Traum geworden war.
Die Maus hatte nun aufgehört zu kratzen. Insgeheim wollte sie wieder zurück in die Höhle und diesen Schneesturm aussitzen.
„Träume sollte man nicht mischen.“ dachte sie und zwickte den Tiger in den Rücken.
Plötzlich wachten beide wieder auf. Salz bröselte von der Decke. Nun fing die Maus an zu verstehen.
Ernüchterung
Ohne sich anzukündigen kehrte der Alltag ins Leben des Tigers und der Maus ein. Eine Sache, die letztere schon immer versucht hatte zu meiden. Sie flüchtete sogar davor. Doch von einem Tag auf den Anderen bemerkte der Tiger, dass trotz der schönen Momente und Unternehmungen, sich einiges immer wieder wiederholte. Ein bisschen wie eine Endlosschleife. Wenn auch eine wunderschöne- zumindest für den Tiger.
Aber wie denkt wohl die Maus darüber?
Er war so auf den Frühling fokussiert, dass er die elementaren Dinge einer Beziehung aus den Augen verloren hatte. Die To- Do- Liste war schon einige Zeit unverändert geblieben, scheinbar begann sie sogar zu vergilben.
Die Angst seine Maus zu verlieren quälte den Tiger schon seit der ersten Sekunde. Schon an den Morgen, an denen er sie nur
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