Eine fast perfekte Lüge
Brusttasche gesteckt hatte. Jetzt umklammerte er laut schreiend sein Hemd und riss daran, als ob er schreckliche Herzschmerzen hätte. Tatsächlich aber sorgte er nur dafür, dass sich die haarfeine Nadel, die in der Phiole steckte, in seine Handfläche bohrte.
Es war bloß ein ganz kurzer Einstich, den er kaum spürte. Doch als seine Muskeln anfingen, sich zu verkrampfen, wusste er, dass die lähmende Wirkung des Gifts bereits eingesetzt hatte. Er glaubte spüren zu können, wie ein lebenswichtiges Organ nach dem anderen den Dienst versagte. Natürlich war er darauf gefasst, dass dies passieren würde, aber es dann am eigenen Leib zu spüren, war doch noch etwas anderes, als nur um die lähmende Wirkung des Giftes zu wissen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Todesangst. Er war im Begriff zu sterben, und wenn seinen Leuten jetzt ein Fehler unterlief, war das hier sein Ende.
„Hilfe“, stöhnte er und ging in die Knie, während er Hollister mit einem Ausdruck ungläubigen Erstaunens anschaute.
Hollister kniete sich neben seinen Mandanten auf den Boden und brüllte den Aufsehern zu: „Los, schnell! Holen Sie einen Arzt! Er hat einen Herzanfall!“
Einer der Aufseher rannte davon, während der andere auf Hollister zukam.
„Wasser!“ schrie Hollister. „Holen Sie Wasser!“
Der Wärter raste durch den Raum zum Waschbecken. Während er Wasser in einen Plastikbecher laufen ließ, holte Hollister mit seinem Taschentuch die zerbrochene Phiole aus Calderones Hemdtasche und ließ Taschentuch samt Inhalt eilig in seiner Hosentasche verschwinden. Man hatte ihn bei seiner Ankunft bereits durchsucht, und es gab keinen Grund anzunehmen, dass er irgendeinen Beweis nach draußen schmuggeln könnte. Er musste zugeben, dass es ein intelligenter Plan war. Schwierig würde es nur werden, Calderone wieder zum Leben zu erwecken.
Wenig später erschienen sechs Wärter mit einer Krankenbahre. Hollister schaute zu, wie Calderone auf die Trage gelegt und von zwei Aufsehern weggetragen wurde, während die anderen aus Sicherheitsgründen neben der Bahre her gingen.
„Wohin bringen Sie ihn?“ fragte er einen der Aufseher, der den Raum noch nicht verlassen hatte.
„Ins Gefängniskrankenhaus.“
„Kann ich ihn begleiten?“
„Nein“, erwiderte der Wärter unfreundlich. „Sie warten hier.“
Hollister lief rot an. „Ich als sein Anwalt habe das Recht …“
„Man wird Sie über seinen Zustand informieren“, fiel ihm der Wärter ins Wort und verließ dann ebenfalls den Raum.
Wieder blieb Hollister allein zurück, mit dem einzigen Unterschied, dass seine Nervosität jetzt verflogen war. Nicht mehr lange, dann wäre er endgültig verschwunden. Der weitere Erfolg der Aktion hing jetzt von dem Gefängnisarzt ab, den man zur Zusammenarbeit gezwungen hatte. Doch gleichviel, ob Calderone durchkommen würde oder nicht, Hollister hatte mit diesem Teil seines Lebens endgültig abgeschlossen. Sein Flugticket befand sich im Handschuhfach seines Autos, sein Gepäck im Kofferraum. Es wurde allerhöchste Zeit, ein neues Leben zu beginnen.
Ralph Foster arbeitete seit siebenundzwanzig Jahren als Arzt, und im Staatsgefängnis von Lompoc war er seit fast sechs Jahren tätig. Im Laufe dieser Zeit hatte er fast alles gesehen, was Menschen einander antun konnten, und er glaubte nicht, dass ihn noch etwas erschüttern könnte.
Gleichwohl war er auf das Ansinnen, das man vor drei Tagen an ihn herangetragen hatte, nicht vorbereitet gewesen. Eine Frau hatte versucht, ihn dazu zu überreden, dass er einem Gefangenen bei der Flucht half. Er hatte ihr glatt ins Gesicht gelacht und sich selbstverständlich geweigert. Aber dann war seine Frau nach Büroschluss nicht nach Hause gekommen. Er war eben dabei gewesen, die Polizei anzurufen, als es geklingelt hatte. In der Annahme, dass es Patricia sei, die ihren Schlüssel vergessen hatte, war er erleichtert zur Tür gerannt. Doch dann hatte ihm nicht Patricia, sondern ein wildfremder Mann gegenübergestanden. Er hatte ihm einen Zettel und die Handtasche seiner Frau in die Hand gedrückt und war dann ohne ein Wort wieder gegangen.
Beim Lesen der Nachricht war Foster schwindlig geworden. Er war noch nie in seinem Leben ohnmächtig geworden – nicht einmal als Student bei seiner ersten Obduktion. In diesem Moment aber hatte er das Gefühl gehabt, gleich zusammenbrechen zu müssen.
Wenn Sie tun, was man Ihnen sagt, ist Ihre Frau bald wieder bei Ihnen. Wenn Sie sich allerdings weigern oder daran
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