Eine fast perfekte Lüge
Anwalt bei Calderone sei und sie gebeten, in der Wartezone zu bleiben. Als sie merkte, dass man sie neugierig anstarrte, senkte sie schnell den Kopf, zog ihren Rosenkranz heraus und begann zu beten. „Heilige Maria, Mutter Gottes …“
Wenig später hörte sie Schritte näher kommen und hob den Kopf. Als sie Miguels Anwalt erkannte, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Sie konnte ihm bereits ansehen, dass bis jetzt alles nach Plan verlaufen war. Aber sie musste sich unwissend stellen, bis man sie über Miguels Dahinscheiden informiert hatte.
„Schwester Mary Theresa?“ fragte der Anwalt.
Sie nickte, stand auf und schaute ihn fragend an. „Ja, Sir. Und darf ich Ihren Namen auch erfahren?“
Hollister legte ihr behutsam eine Hand auf die Schulter, da ihm bewusst war, dass sie beobachtet wurden. „Man hat mir gesagt, dass Sie Miguel besuchen möchten. Mein Name ist Abraham Hollister. Ich bin sein Anwalt.“
Sie lächelte. „Dann sind Sie jetzt also fertig? Ich bin gekommen, um mit meinem Bruder zu beten.“
Hollister drückte leicht ihre Schulter. „Es tut mir wirklich schrecklich Leid, aber ich habe keine guten Nachrichten. Mr. Calderone hat vor einer halben Stunde einen Herzanfall erlitten. Man hat ihn sofort auf die Krankenstation gebracht, aber dort konnte man leider nichts mehr für ihn tun.“
Elena keuchte entsetzt, dann umklammerte sie ihren Rosenkranz und drückte ihn sich an die Brust. „Nein! Das kann nicht sein! Bitte,
Señor
, ich flehe Sie an, sagen Sie, dass das nicht wahr ist!“ Nach diesen Worten fiel sie auf die Knie und begann zu schluchzen, wobei sie sich mit dem Oberkörper langsam hin und her wiegte und den Rosenkranz an ihre Stirn presste.
Wenig später eilte ein weiterer Mann mit einem Priester im Schlepptau herbei. Der Priester ging neben der Nonne in die Hocke und redete mit sanfter Stimme beruhigend auf sie ein. „Schwester, ich bin Pater Michael. Mein aufrichtiges Beileid, aber Sie wissen, dass er jetzt an einem besseren Ort ist. Möchten Sie mich vielleicht in die Kapelle begleiten, um für seine Seele zu beten? Vielleicht hilft Ihnen das ja ein bisschen.“
Elena erlaubte ihm, ihr beim Aufstehen zu helfen. Sie nahm das Taschentuch, das Hollister ihr hinhielt, betupfte sich damit die Augen und rang sichtlich um Fassung. „Bitte, entschuldigen Sie“, sagte sie leise. „Es kommt nur so plötzlich.“ Wieder rollten ihr zwei Tränen über die Wangen. „Obwohl … sein Herz … er war so krank, wissen Sie. Aber man rechnet doch nie damit, dass man seinen geliebten Bruder verlieren könnte.“
Der Mann, der mit dem Priester gekommen war, blickte sie überrascht an. „Mein aufrichtiges Beileid, Schwester. Mein Name ist Thom Henry, ich bin der Direktor dieser Anstalt. Ich wusste nicht, dass Sie mit ihm verwandt waren.“
Elena senkte demütig den Kopf. „Wir waren sieben. Miguel und ich waren die Einzigen, die noch übrig waren.“ Sie schluchzte unterdrückt auf. „Und jetzt bin ganz allein.“
Pater Michael legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Aber Sie wissen doch, dass wir nie allein sind, Schwester.“
„Ja, das stimmt“, sagte sie. „Verzeihen Sie meinen Egoismus. Der Schmerz lässt einen so fühlen.“ Dann hob sie den Kopf und streifte Hollister mit einem kurzen Blick, bevor sie wieder den Priester und den Gefängnisdirektor ansah. „Es ist jetzt meine Pflicht, mich der sterblichen Hülle meines Bruders anzunehmen. Was muss ich als Nächstes tun?“
Der Gefängnisdirektor trat einen Schritt vor. „Tut mir Leid, Schwester, aber die Leiche wird erst nach der Obduktion freigegeben. Wenn Sie mir sagen, wo wir Sie erreichen können, wird man Sie informieren, sobald die Ob…“
Elena schlug sich die Hände vor den Mund und wich entsetzt einen Schritt zurück. „Oh nein, oh nein!“ rief sie aus. „Das dürfen Sie nicht machen. Sein Körper darf nicht so geschändet werden!“
Henry runzelte die Stirn. Miguel Calderone war ein Mann, der für die Verbrechen, die er begangen hatte, wahrscheinlich zum Tode verurteilt worden wäre. Doch der verdammte Dreckskerl hatte seine irdischen Richter überlistet. Dann seufzte Henry. Er verstand ihre Gefühle. Es passierte nicht zum ersten Mal, dass ein Familienmitglied gegen eine Autopsie vehement Einspruch erhob, aber er musste sich an seine Anordnungen halten. „Das ist Vorschrift“, sagte er.
„Es ist aber gegen Miguels Glauben“, wandte sie ein. „Er war nicht katholisch wie ich, sondern hat an die alten
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