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Eine fast perfekte Lüge

Eine fast perfekte Lüge

Titel: Eine fast perfekte Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dinah McCall
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nicht, wie er aussah, aber besonders gut bestimmt nicht. Er hatte erst vor einem Jahr angefangen, sich zu rasieren, und dann nicht öfter als zwei- oder dreimal die Woche. Jetzt konnte er seine Bartstoppeln fühlen. Es schienen mehr geworden zu sein als früher, und sie fühlten sich auch härter an. Zu schade, dass niemand aus seiner Familie dieses Zeichen seiner Reife sehen konnte.
    Er fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Wangen und betastete behutsam eine Platzwunde dicht unterhalb des rechten Auges, dann befühlte er Mund und Kinn. Dass seine Unterlippe mindestens zweimal so dick war wie normalerweise, spürte er, aber die Schwellung an seinem Kinn überraschte ihn. Offenbar hatte er einen Teil der Fausthiebe, die er hatte einstecken müssen, nicht mehr mitbekommen.
    Evan warf das T-Shirt aufs Bett und beugte sich dann vor, um sich ein bisschen Wasser aus der Flasche über den Nacken rinnen zu lassen.
    Als er das kühle Nass spürte, dachte er daran, dass er bis zu seiner Entführung jeden Tag geschwommen war. Er sah es vor sich, wie seine Mutter mit der Stoppuhr in der Hand in ihrem knappen roten Bikini auf ihrem Lieblingsliegestuhl neben dem Pool lag, und hörte in Gedanken, wie sie ihn anfeuerte. Als ihm unerwartet die Tränen in die Augen schossen, straffte er die Schultern und atmete tief durch. Jetzt war nicht der richtige Moment, um schwach zu werden.
    Er schaute zu dem mit Brettern vernagelten Fenster und versuchte einzuschätzen, was für eine Tageszeit war, aber die Schlitze waren zu schmal, um genügend sehen zu können außer im Licht tanzende Staubpartikel.
    Frustriert versetzte er einer Packung mit Kräckern, an der Harold herumgeknabbert hatte, einen Fußtritt, dann trat er noch einmal nach, sodass die Packung in dem Loch im Boden verschwand. Da Harold ohnehin schon an der Packung genagt hatte, könnte er den Rest auch noch haben. Schließlich taumelte er ins Klo, hielt den Atem an, um den Gestank nicht riechen zu müssen, während er sich erleichterte, und beeilte sich, wieder nach draußen zu kommen.
    Evan war soeben dabei, sich zu überlegen, ob er vielleicht ein paar Fitnessübungen machen sollte, als er draußen auf dem Flur wieder Schritte hörte. Erstaunt runzelte er die Stirn, da sein Bewacher offenbar noch einmal zurückkehrte. Irgendetwas musste passiert sein. Plötzlich wurde ihm vor Angst ganz flau im Magen, und er begann zu zittern. War das womöglich das Ende? War heute der Tag, an dem er sterben würde?
    Die Tür schwang nach innen auf. Der Bewacher hatte eine Pistole in der einen und ein Handy in der anderen Hand. „Los. Herkommen“, befahl der Mann.
    Evan blieb auf dem Bett sitzen.
    „Du sollst herkommen!“ schrie der Bewacher. „Telefon!“
    Evan wollte seinen Ohren nicht trauen. Sie ließen ihn telefonieren? Aber wer mochte ihn wohl anrufen? Außer seiner Tante Macie war von seiner Familie niemand mehr am Leben. Er sprang auf und rannte zur Tür.
    „Du machst nur, was ich sage, kapiert?“ knurrte der Mann, während er ihm mit seiner Pistole unter der Nase herumfuchtelte.
    Evan nickte und streckte die Hand nach dem Telefon aus. Der Aufpasser zog argwöhnisch die Augenbrauen zusammen, aber dann drückte er Evan das Handy in die Hand und wich einen Schritt zurück, wobei er immer noch auf den Kopf des Jungen zielte.
    Nach dieser langen Zeit fühlte es sich für Evan seltsam an, etwas so Alltägliches wie ein Handy in der Hand zu halten.
    „Hallo?“ Das Wort war nur ein Krächzen. Evan räusperte sich und versuchte es noch einmal. „Hallo? Wer ist da?“
    Er hörte, wie jemand tief durchatmete, dann drang eine unbekannte männliche Stimme an sein Ohr.
    „Evan?“
    „Ja. Wer ist da?“
    „Wie lautet der zweite Vorname deiner Mutter?“
    Im ersten Moment war Evan völlig schleierhaft, was diese Frage sollte, aber gleich darauf wurde ihm klar, dass es sich nur um eine Art Test handeln konnte. Wahrscheinlich wollte der Anrufer sichergehen, dass er auch wirklich der war, für den er sich ausgab.
    „Felicity. Ihr erster Vorname war Laura.“
    „Gut“, erwiderte der Mann.
    „Nachdem ich Ihre Frage beantwortet habe, will ich aber auch etwas fragen“, sagte Evan.
    „Schieß los.“
    „Wer sind Sie?“
    „Ich heiße Jonah Slade. Hast du diesen Namen schon einmal gehört?“
    Evans Knie zitterten, doch er bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Ja, aber ich kenne den Mann nicht.“
    Bei diesen Worten zuckte Jonah zusammen. „Du musst noch eine Weile stark bleiben, Evan.

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