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Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Titel: Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Lee
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anschneiden sollte: das neuerliche Auftauchen vonJames Easton. Doch noch ehe sie richtig den Mund geöffnet hatte, merkte Mary, wie sie lauter Entschuldigungen erfand. Seine Aufgabe war inzwischen öffentlich bekannt. Sie hatte keine Hinweise, dass James sie überhaupt erkannt hatte. Wenn nicht, sagte sie sich, dann war es besser so. Aber sie war nicht mal in der Lage, diese äußerst erniedrigende Tatsache auszusprechen. »Nein.«
    »Du musst hungrig sein.«
    »Ständig«, gab Mary zu. Sie stellte sich auf in der Badewanne, goss sich einen letzten Eimer warmes Wasser über den Kopf und wickelte sich dann in ein großes Handtuch. »Aber heute Abend war mir ein Bad wichtiger als eine Mahlzeit.«
    »Zum Glück musst du nicht zwischen beidem wählen«, sagte Anne mit leichtem Lächeln.
    Der Tisch war säuberlich für eine Person gedeckt. Mary hob die silberne Haube hoch und seufzte selig auf: gebratenes Hühnchen, Gemüse, Kartoffeln und hinterher ein Stück Limonentarte. Trotzdem   … »Ist es nicht schon etwas zu spät? Ich sollte mich bald auf den Weg machen.«
    »Setz dich und iss«, sagte Anne streng. »Du kannst dich nicht wie eine Dame aufführen, wenn du halb verhungert bist.«
    Wer war sie, sich Anne Treleaven zu widersetzen? Schwierig war nur, sich bei dem ersten guten Essen seit Tagen an ihre Tischmanieren zu erinnern. Eine von Mark Quinns ungehobelten Angewohnheiten hatte sich schon fast bei ihr festgesetzt   …
    Während Mary aß, ging Anne leise im Zimmer auf und ab und stellte Dinge zusammen, die sie brauchte, um ihre Verwandlung zu vervollständigen: feine Unterwäsche aus Musselin, ein dunkles Seidenkleid, einen Brokatschal und eine tief ins Gesicht gezogene Haube. Marys Haut prickelte, als sie zusah, wie Anne noch einige andere Dinge zusammensuchte. In solchen Momenten   – wenn sie voller blauer Flecken war, schmerzende Füße hatte und gleichzeitig vor Aufregung fast platzte   – liebte sie es besonders, für die Agentur zu arbeiten.
    Sie brauchte nicht lang, um sich anzuziehen. Die Krinoline war ausladend   – von der Art, dass man nur seitwärts ein Zimmer betreten konnte   –, und sie übte ein paarmal, sie schwingen zu lassen. Zuerst war es seltsam, ihre eigenen Stiefeletten zu tragen, dann eine wahre Freude. Sehr zu ihrer Überraschung passte das Kleid wunderbar und sie sah Anne an. »Aber wie   …«
    Anne lächelte nur. »Setz dich, damit ich mich um dein Haar kümmern kann.«
    Mary unterdrückte eine Grimasse. Ihr widerspenstiges Haar ließ sich schon normalerweise nicht gut zu Knoten oder Chignons frisieren. So kurz geschnitten, wie es jetzt war, sah es kein bisschen damenhaft aus. Als Anne etwas Merkwürdiges hervorzog, ein kleines rundes Netz, das mit Rosshaar vollgestopft war, ergab sich Mary in ihr Schicksal. Sie brauchten zwei Heftchen mit Haarnadeln, aber als Anne fertig war   – und sie war nicht gerade zimperlich gewesen   –, war Marys Haar zu einem passablen Knoten zurückgeklammert.Das falsche Haarteil saß dort, wo ihr eigenes Haar aufhörte. Als sie die Haube dann aufhatte, sah es sogar überraschend natürlich aus.
    »Kann ich so gehen?«, fragte Mary, legte sich den Schal um die Schultern und hängte sich den Weidenkorb über den Arm.
    »Natürlich.«
    Draußen vor dem Haus wartete eine stattliche Kutsche. Der Kutscher kam Mary nicht bekannt vor   – zumindest, bis er von seinem Bock kletterte und ihr den Korb mit einem deutlichen Zwinkern abnahm. Mary machte große Augen und konnte gerade noch einen erstaunten Ausruf unterdrücken. Felicity Frame gab tatsächlich einen überzeugenden Mann ab.
    »Wohin, Ma’am?« Die Stimme des Kutschers war ein weicher Tenor.
    »Äh   – Ayres Street, an der Southwark Bridge. Bitte.« Sie stieg in die Kutsche und fühlte sich seltsamer als seit einer Ewigkeit.
    Während sie mit raschem Tempo in südwestlicher Richtung fuhren, lehnte sich Mary in die gepolsterte Bank zurück und genoss den feinen Duft ihrer sauberen Haut, den vollen Magen und das sanfte Liebkosen ihrer Musselinunterwäsche. Schon nach den wenigen Tagen als Mark Quinn waren solche alltäglichen Bequemlichkeiten der wahre Luxus. Gleichzeitig rief dieses wiedergewonnene Gefühl Erinnerungen wach. Diese Dinge waren ja nichts Neues, aber sie musste an die Zeit denken, als das so gewesen war. Vor mehreren Jahren, als Anne und Felicity sie nach demTodesurteil aus dem Kerker befreit hatten, hatte sie das alles nicht gekannt: das tägliche Bad, Zitrusfrüchte und

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