Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn
fast hervor. »Absoluter Blödsinn!«
Auf Felicitys Wangen bildeten sich leuchtend rote Flecken. »Wieso das denn? Easton zeigt alle Qualitäten, die wir bei unseren Kandidaten suchen.«
»Er ist – also, er ist doch –«
»Ein Mann. Ist das ein Problem?«
»Nun, das ist auf jeden Fall ein Problem für die Agentur. Wir gründen uns auf die Prinzipien von Miss Scrimshaw. Frauen, die allenthalben nicht anerkannt und unterschätzt werden, können daraus einen Vorteil ziehen, wenn es um Ermittlungsarbeit geht.«
»Die Geschichte der Agentur ist mir wohl bewusst«, sagte Felicity. »Aber in diesem Fall liegt der Vorteil bei Easton. Er kennt sich auf Baustellen aus und ist eine Autorität.«
»Das kommt nur daher, dass wir diesen Fall nie hätten übernehmen dürfen! Wir haben den Kompetenzbereich der Agentur überschritten und dieser Wirrwarr ist das Resultat. James Easton mag alle möglichen Tugenden haben, aber bei der üblichen Arbeit der Agentur kann er keine Aufgabe übernehmen.«
»Die ›übliche Arbeit der Agentur‹ muss eben überdacht werden«, sagte Felicity gedehnt. »Der vorliegende Fall demonstriert das bestens. Wenn wir einen Auftrag nicht übernehmen können – gut bezahlte, wichtige Fälle –, dann sollten wir die uns selbst gesetzten Einschränkungen überdenken. Männliche Mitarbeiter sind vielleicht genau das, was wir brauchen, um als Organisation zu wachsen.«
»Der vorliegende Fall sprengt nicht einfach unseren Rahmen! Er schadet unseren Zielen.«
»Bitte!«, unterbrach Mary die beiden und erhob sich verlegen. Anne und Felicity starrten sie erschrocken an. Sie schienen ganz vergessen zu haben, dass sie noch da war. »Ich muss nach Lambeth zurück. Fürs Erste habe ich eine ganz gute Geschichte, die ich James erzählen kann, bis Sie – bis eine Entscheidung gefallen ist.«
Anne schluckte und sagte in wieder einigermaßen ruhigem Ton: »Es ist sehr spät, Mary. Warum bleibst du für die paar Stunden nicht hier? Das ist kein Risiko.«
Mary nickte zögernd. Sie hatte ihre Rolle als Mark Quinn sowieso schon gefährdet. James Easton hatte ihre Tarnung zerstört. Möglicherweise war nichts verloren, wenn sie eine Nacht in ihrem alten Bett in der Agentur schlief – solange es noch die Agentur war, die sie kannte.
***
Donnerstag, 7. Juli
Eine lange Nacht, ein heftiger Streit, eine bevorstehende Auseinandersetzung: Diese drei Ereignisse ließen Mary erst gegen Morgen einschlafen, und das Ergebnis war, dass sie fast zu spät kam. Sie rannte die letzten paar Hundert Meter nach Westminster, wich einem Mann in einem schlecht gebügelten Anzug aus und merkte erst in letzter Sekunde, wer es war.
Octavius Jones zog mit schwungvoller Bewegung den Hut vor ihr. »Hallo, Junge«, rief er laut. »Was kannst du mir heute melden?«
»Nichts, Sir.«
»Komm schon – ein kluges Bürschchen wie du? Erzähl mal. Irgendwas.«
Sie ging rücklings mit langsamen Schritten auf den Baustelleneingang zu. »Äh – heut ist die Beerdigung, Sir.«
»Dafür kriegst du keinen Penny«, sagte er wohlwollend geringschätzig. »Erzähl mir was, das nicht jeder schon weiß.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir.«
»Dann verrat mir mal Folgendes: Was sagt der neue Bauingenieur denn über die Sicherheit auf der Baustelle?«
Sie stieß mit den Schulterblättern bereits an den Holzzaun, doch Jones rückte immer noch näher. Dieser Trick, um den Druck zu verstärken, war nicht besonders raffiniert, aber dennoch wirksam. »Arbei tet noch dran, Sir. Hat mir aber nix erzählt.«
»Und die ganze Zeit, die du mit ihm zusammen warst – da hast du nicht irgendwelche Mutmaßungen angestellt?«
Mary runzelte die Stirn. »Mut-was, Sir?«
»Mutmaßungen. Beobachtungen. Deine Schlüsse gezogen.«
»Ich ziehe hier in jedem Fall meine Schlüsse«, sagte eine sarkastische Stimme hinter ihnen.
Mary presste die Augen zu. Rettung und Ärger zugleich.
»Und die besagen, dass Sie augenblicklich von hier verschwinden!«
»Mr Easton!« Jones wechselte zu seiner Sonntagsstimme. »Was für ein Vergnügen, Sie wiederzusehen. Ich glaube, wir sind uns gestern nicht richtig vorgestellt worden.«
»Werden wir auch heute nicht. Und jetzt verschwinden Sie von meiner Baustelle.«
»Würde es Ihnen übertrieben pedantisch vorkommen, wenn ich Sie darauf hinwiese, dass wir genau genommen nicht
auf
der Baustelle sind?« Jones grinste, als er James’ Gesicht sah. »Ich nehme an, ich kann Sie nicht dafür
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