Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn
ergriffen, aber es war viel zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Sie zwang sich zu einem schüchternen Lächeln.
Er war eindeutig verblüfft, sie zu sehen, sagte jedoch nach einem Augenblick: »Für mich das Spezialbier des Hauses.«
Was gut genug für Reid war, war gut genug für den Rest. Mary ging mehrmals vom Tresen zum Tisch und beim letzten Gang rutschten die Männer auf der Bank zusammen und machten einen Platz für sie frei. Eine Runde auszugeben war offensichtlich der schnellste Weg, akzeptiert zu werden. Wenn sie nur vor fünf Tagen an so etwas gedacht hätte!
Die Nase in ein Bierglas zu stecken war die ideale Art, Leute zu beobachten, und von ihrem Platz aus stellte Mary fest, dass sie in zehn Minuten mehr über die Arbeitsbeziehungen erfuhr als während der ganzen Woche. Obwohl alle Männer in der gleichen Ecke der Kneipe saßen, gruppierten sie sich doch nach Gewerken. Die Steinmetze saßen beieinander, dann kamen die Schreiner, die ab und zu Bemerkungen mit den Glasern neben ihnen austauschten. Die Maurer bildeten eine Ausnahme, denn sie wurden nur von Reid, Smith und Stubbs vertreten, aber das war wahrscheinlich gut so – Keenans Anwesenheit hätte die gute Stimmung bestimmt verdorben. Die Männer kamen alle ganz gut miteinander aus und das Bier tat das Seine. Wie Mary erwartet hatte, waren die Schreiner der ausgelassene Mittelpunkt der Versammlung. Sie tauschten Klatsch aus und brüllten immer unanständigere Witze über den Tisch, um den neuen Jungen in Verlegenheit zu bringen.
Im Laufe des Nachmittags fand es Mary immer unverständlicher, dass sie sich eine Zeit lang unwohl unter diesen Männern gefühlt hatte. Es war fast so unverständlich wie ihr Verdacht, sie könnten ihr gegenüberargwöhnisch sein. Hier in der Kneipe waren sie alle Kumpel. Gute Kumpel. Sie waren schon seit Urzeiten Kumpel. Sie witzelten über die alkoholfreie Teepause, schimpften über Harkness, über das langsame Vorankommen der Arbeit und sogar über den neuen Ingenieur.
»Du da«, sagte Reid, lehnte sich über den Tisch und starrte sie aufmerksam, wenn auch mit etwas glasigem Blick, an. »Du weißt doch alles über den neuen Herrn. Piekfeiner Typ, oder?«
Mary blubberte das Bier im Bauch herum. »So piekfein nun auch wieder nicht«, sagte sie langsam. Ihr alkoholgetränktes Hirn versuchte den Gang des Gesprächs vorauszuahnen. »Eigentlich nicht anders als Harky, glaub ich.«
Reid schüttelte langsam und störrisch den Kopf. »Protziger als der alte Harky bestimmt.
Ich
weiß Bescheid.«
»Was weißt du?«, wollte der Mann neben Mary wissen.
»Er ist einen Abend nach der Arbeit in Wicks Haus gekommen. Hat mir Jane Wick erzählt. Sie hat einen Todesschreck gekriegt – dachte schon, Wick würde wieder in Schwierigkeiten stecken, auch noch nach seinem Tod.«
»Wenn es einen Kerl gibt, der nach seinem Tod noch in Schwierigkeiten geraten kann, dann John Wick!«, sagte ein Dritter schnaubend. Ein paar Männer brummten belustigt ihre Zustimmung, aber die meisten waren gespannt auf Reids Bericht.
»Wie auch immer, dieser Herr kommt bei den Wicks vorbei und sagt zu Janey, dass er gern den Leichnam sehen will, ganz höflich. Und Janey sagt: ›Der ist nicht hier‹, und dass der Untersuchungsrichter ihn noch hätte und nicht sagen würde, wann er ihn rausrückt. Und Janey, wisst ihr, die ist so fertig deswegen, weil ja am nächsten Tag die Beerdigung sein soll, und sie muss ihn ja noch waschen und anziehen und alles, und der Kerl da – dieser Easton – sagt zu ihr, sie soll sich nicht aufregen, er wird mal sehen, was er machen kann.
Und Janey denkt natürlich: ›Na klar, das sagt ihr doch alle und tut dann doch nichts, und warum gehen Sie nicht heim und lassen mich in Ruhe.‹ Und verflixt noch mal, wenn da nicht am nächsten Mor gen ’ne riesige Kutsche aufkreuzt – um neun Uhr morgens, denkt nur –, und so zwei Kerle bringen Wicks Leiche rein, ganz artig, und sagen: ›Hier, Mrs Wick‹ und ›Bitte sehr, Mrs Wick‹ und so fort!«
Alle staunten nicht schlecht darüber. »Hat er gesagt, wie er das hingekriegt hat? Easton, meine ich.« Das war wieder der Mann neben Mary.
Reid schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen Zug Bier. »Hat nichts weiter gesagt, nur seine Karte dagelassen und gemeint, wenn sie noch was brauchen würde, dann sollte sie ihn fragen.«
Jemand anders kicherte hinterhältig und vielsagend. »Hat wohl ein Auge auf die Witwe geworfen, was? Bestimmt entschädigt sie ihn
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