Eine Feder aus Stein
durch die gläsernen Türen in den Regenschleier hinaus. In mir wohnt das Böse, dachte er traurig, während er das Rollfeld überquerte, um zu dem wartenden Pendlerflugzeug zu gelangen. Ich bin böse geboren, bin in das Böse hineingewachsen und war ein Lehrling des Bösen.
Er stieg die glatte Metalltreppe hinauf, die man seitlich an das Flugzeug herangerollt hatte. Als er sich in die muffig riechende Kabine duckte, sah er, dass außer ihm nur zwei Passagiere an Bord waren.
Er machte es sich in einem der Sitze bequem und starrte aus dem winzigen Fenster. Am liebsten wäre er nach draußen gelaufen, um sich hinzuwerfen und sich physisch an den Boden seiner Wahlheimat zu klammern.
Eine Stewardess bot ihm einen Drink an.
»Nein, danke.«
Das Böse. Die ihm innewohnende Dunkelheit verdarb, was er berührte. Zumindest kam es ihm nach all der Zeit so vor. Er legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Er fühlte sich elender, als er es je für möglich gehalten hätte. Fast so elend wie in jener Nacht vor langer Zeit, als er gesehen hatte, wie Cerise starb. Sie alle hatten gefühlt, wie der Blitz sie durchfuhr, sie mit Licht und Kraft erfüllte, doch es war genau diese Kraft, die Cerise tötete, während sie ihre Tochter zur Welt brachte. Er erinnerte sich an Melitas gerötetes wunderschönes Gesicht, an den triumphierenden Ausdruck, der sich darauf abgezeichnet hatte. Sie war weggelaufen. Sie hatte die riesige Eiche und die Quelle zerstört.
Wie ein Panther war Marcel ihrer Spur in der Dunkelheit gefolgt, hatte sie eingeholt und niedergeschlagen. Keuchend hatte er dagestanden, innerlich aufheulend vor Schmerz und Kummer, während Melita mit dem Gesicht nach unten im Matsch lag. Der Regen war geschossartig auf ihr Kleid niedergeprasselt. Sein Herz, sein Leben und seine Liebe waren zugrunde gerichtet, also war es nur angemessen, dass er die Ursache dafür zerstörte.
Dann hatte Melita den Kopf gehoben und sich nach ihm umgewandt. Während er sie sprachlos anstarrte, wischte sie sich den Schmutz aus den Augen. Und lachte ihn aus.
Außer sich vor Wut hob er erneut die Hacke, doch ihr Arm schoss nach vorn, und sie spie dunkle Formeln aus, die sich peitschend um ihn wanden wie eine Würgepflanze. Und, einfach so, ergriff sie Besitz von seiner Seele.
Und sie hatte sie nicht wieder freigegeben. Jahr um Jahr nicht.
Kapitel 7
Thais
Ich streifte das niedliche Top, das ich in der Schule getragen hatte, ab und suchte nach einem alten T-Shirt , das für die Schufterei besser geeignet war. » Was ist mit Erdbeeren?«, fragte ich, als Clio hereinkam und sich auf mein Bett fläzte. »Erdbeeren pflanzen – das könnte doch ich übernehmen.«
»Zu spät, die Saison ist so gut wie vorbei«, erwiderte Clio.
Ich stöberte in einer Schublade. »Wann kommt Petra nach Hause?«
Clio stöhnte. »Was weiß ich? Einmal ist sie fast dreißig Stunden weg gewesen, ein anderes Mal – das war auch zu einer Entbindung – war sie nach einer Stunde wieder zu Hause. Sie sagte, das Baby sei einfach so rausgeflutscht.«
Bei der Vorstellung zog ich eine Grimasse. Clio grinste ironisch.
»Hör zu«, sagte sie. »Wir müssen immer noch rausfinden, wer uns etwas antun wollte. Ich meine, auch wenn es im Moment so aussieht, als hätten die Attacken aufgehört, würde es unsere Position doch stärken, wenn wir wüssten, wer dahintersteckt. Lass uns noch einen Enthüllungszauber anwenden, bevor Nan heimkommt.«
»Na, das ist ja mal ’ne super Idee. Was muss hier denn noch alles niedergebrannt werden?« Das letzte Mal, als wir versucht haben, Magie anzuwenden, hätten wir um ein Haar unser Haus in Schutt und Asche gelegt.
»Sehr witzig«, sagte Clio und setzte sich auf. »Hey, vielleicht sollten wir den Zauber draußen vor Lucs Apartment machen. Ich wette, der Blitz würde einschlagen oder ein Meteorit drauffallen oder irgend so was.«
Ich versuchte zu lächeln. Trotz aller Bemühungen, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen, war Luc immer noch ein sehr heikles Thema.
»Was meinst du mit ›unsere Position stärken‹?«, fragte ich. »Unsere Position in Bezug auf was?«
Clio antwortete nicht, sondern streckte stattdessen einen Arm aus und ließ ihn über das indische Muster der Tagesdecke gleiten, mit der ich mein Fenster verhängt hatte. Es war seltsam, mich diese natürlichen und gleichzeitig dramatischen Gesten machen zu sehen – besser gesagt eine hyperfeminine Version meiner selbst.
Ich zog ein altes Batikshirt über. »Ich warte.«
Clio
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