Eine Feder aus Stein
behelligen.«
Er wünschte, sie würde sich hinsetzen. Er wünschte, er könnte sie berühren.
»Aber du bist mir zu wichtig«, fuhr er fort. »In über zweihundert Jahren bist du diejenige, die unter all den anderen hervorsticht, nach der mein Herz sich sehnt. Du hattest zu viel Einfluss auf mich. Jemandem, der mir so nahe gekommen ist wie du, muss ich folgen. Verstehst du denn nicht? Dich gehen zu lassen, wäre ein noch größerer Fehler! Noch größer als der, dass ich dich überhaupt erst zum Gehen veranlasst habe.«
Sie standen in einem Dreieck aus drei riesigen Virginia-Eichen. Es war beinahe vollkommen dunkel. Minuten waren verstrichen, seit Luc das letzte Mal jemanden hier vorbeikommen gesehen hatte. Clio stand gegen einen Baumstamm gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie sagte kein Wort, ihr Gesicht war verschlossen, verriet nicht, was sie dachte.
»Ich bitte dich nicht, mich wieder zu lieben«, sagte er mit einem bitteren Lachen. »Ich bitte dich noch nicht mal, mich überhaupt zu mögen. Aber ich bitte dich zuzulassen, dass ich dich liebe, und sei es nur aus der Entfernung. Lass es zu, dass du mir wichtig bist. Lass mich versuchen, es wiedergutzumachen. Ich kann loyal sein. Ich kann treu sein. Ich kann dich glücklich machen. Bitte lass mich das tun.«
Er sah Unschlüssigkeit in ihren Augen aufflackern.
»Und was ist dann mit Thais?«, fragte sie kalt. Ihr Ton passte nicht zu ihrem Gesichtsausdruck. »Die willst du einfach im Regen stehen lassen, oder wie? Sie war dumm genug, etwas für dich zu empfinden, ja ich glaube sogar, sie hat dich geliebt .« Ihre Worte waren abfällig, sollten ihn verletzen, und das taten sie auch. Doch er durfte jetzt nicht an Thais denken, denn dann war alles verloren.
Er biss sich auf die Innenseite seiner Lippe, entschlossen, alle Kritik einzustecken, die sie austeilte.
»Thais scheint darüber hinweg zu sein«, erwiderte er steif.
Clio spottete: »Was, Kevin? Gott, bist du ein Idiot.«
Luc warf ihr einen Blick zu. »Thais ist mir wichtig«, erklärte er aufrichtig. »Ich bin entsetzt, wie sehr ich ihr – und dir – wehgetan habe. Aber ich habe dich zuerst kennengelernt, Clio.«
Als sie ihn ansah, erkannte er die verschiedensten Gefühle in ihrem Blick. Schließlich stieß sie sich von dem Baum ab. »Ich muss gehen«, sagte sie barsch.
Im Bruchteil einer Sekunde hatte Luc den Arm nach ihr ausgestreckt, sie bei der Hand genommen und sanft zurückgezogen. Wenn er versuchte, sie auf den Mund zu küssen, würde sie ihn garantiert umbringen, also drückte er seine Lippen stattdessen auf ihre warme, weiche Hand. Leidenschaft loderte ihn ihm auf, drohte, ihn zu verbrennen. Vor Überraschung wäre er beinahe zurückgewichen. Clio war nicht so reserviert, wie sie aussah. Zwischen ihnen gab es noch immer starke Gefühle.
Er stand auf und sah ihr prüfend ins Gesicht. Sie wirkte aufgewühlt, ärgerlich, aber auch zerrissen vor Sehnsucht.
Sie entzog ihm ihre Hand und lief, ohne sich noch einmal umzublicken, zielstrebig über das dunkle Gras.
Kapitel 19
Clio
Der Göttin sei Dank, dass ich nicht gefahren war, dachte ich, während ich durch unser Eingangstor stürmte. Vor lauter Wut hätte ich am Ende noch das Auto demoliert. Vorhin hatte ich befürchtet, verrückt geworden zu sein. In einem Moment stand ich noch in der Küche und wusch das Geschirr ab, und im nächsten fing ich praktisch an zu kreischen, weil ich Luc unbedingt sofort sehen musste. Dann war ein Bild vor meinem inneren Auge aufgetaucht, wie er nur ein paar Blocks weiter in einem Park saß und wartete.
Vor Schreck war mir beinahe die Luft weggeblieben. Er hatte mich mit einem Zauber belegt.
Die Wahrheit war, dass ich ihn noch immer liebte, mich noch immer nach ihm sehnte. Ich hatte all meine Kraft aufbringen müssen, um ihm zu widerstehen. Und der wirklich kranke Teil: Fast wünschte ich, er hätte mich mit einem Zauber belegt, der mich zum Aufgeben zwang, denn dann hätte ich es einfach tun können und mir keine Vorwürfe machen müssen, weil ich so dumm und schwach war und Thais verraten hatte. Ich war wirklich erbärmlich.
Als ich die Eingangstür öffnete, empfing mich eine Luft, die nur wenig kühler war als die draußen. Nan hasste Klimaanlagen, und wenn sie sie doch mal einschaltete, um das Haus besser zu belüften, damit wir nicht überall Schimmel bekämen, war der Luftstrom immer noch nicht so frostig kalt, wie ich es gerne gehabt hätte.
Ich lief nach oben und beschloss, mich
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