Eine Feder aus Stein
Claire.
Luc konnte geradezu sehen, wie sich die kleinen Rädchen in ihrem Kopf drehten.
»Und während wir alle warten, hat Petra die Zwillinge nach wie vor unter ihren Fittichen.« Claire fischte ein Stück Ananas aus ihrem Drink und biss hinein. »Petra hat die Zwillinge und der Rest der Treize gärt im Kessel von New Orleans vor sich hin, oder wie? Und keiner macht sich Sorgen um die Zwillinge? Keiner versucht, sie voneinander fernzuhalten?«
»Sorgen? Nun, Petra hat jedem von uns das Versprechen abgenommen, die Zwillinge in Ruhe zu lassen«, sagte Luc.
»Zu spät.« Richard grinste höhnisch in sein Glas.
So langsam ging er Luc gehörig auf die Nerven. Er hoffte, ihr Geplänkel würde hier, mitten im Napoleon House, nicht in eine Barschlägerei münden.
»Warum denn voneinander fernhalten?«, fragte Luc und versuchte, seinen Ärger hinunterzuschlucken. »Ich habe nie verstanden, wieso Petra sie überhaupt getrennt hat. Ich meine, dieses ganze Gerede um die ›Macht der Zwillinge‹ ist doch nur ein Mythos, oder?«
»Luc.« Eine leise Belustigung lag in Claires Augen, die ebenfalls grün waren und dabei doch komplett anders aussahen als die der Zwillinge. »Natürlich ist das kein Mythos. Ich kann nicht glauben, dass Petra so leichtsinnig ist, beide bei sich zu behalten. Gott sei Dank, dass die eine aus dem Norden noch keine Magie beherrscht. Wenn die beiden gemeinsam Magie praktizieren würden, könnten sie dich, mich und Daedalus ziemlich alt aussehen lassen.«
»Aber … das würden sie doch nicht tun«, sagte Luc überrascht. »Sie sind nicht … böse.«
»Das müssen sie auch gar nicht«, entgegnete Claire. Sie hielt den Kopf einer Languste über ihren hellen roten Mund und saugte den Saft aus ihm heraus. »Sie müssen nicht gut oder böse sein oder auch nur eine Ahnung davon haben, was zum Teufel sie da eigentlich machen. Sie müssen nur zu zweit sein. Hast du den Teil der histoire de famille verpennt, oder was?«
»Sie sind gefährlich?« Das konnte Luc nicht verdauen. »Aber wieso denn? Inwiefern?«
»Weil sie Zwillinge sind, Zwillinge aus der dreizehnten Generation, und sie tragen das Mal. Ich meine, hallooo? Welchen Teil von verheerender Prophezeiung verstehst du nicht?« Claire kippte ihren letzten Drink hinunter und strich sich das magentafarbene Haar in den Nacken.
»Wie lautet die Prophezeiung noch mal?«, fragte Richard. Er schien auf einmal seltsam angespannt, wütend, besorgt … Luc konnte es nicht benennen.
Claire fuhr mit dem Finger über den Rand ihres Glases, das einen nervtötend hohen Summton von sich gab. »Das Mädchen mit dem Mal bringt dir den Tod«, sagte sie. Dann zuckte sie lachend die Achseln. »Sie werden ewiges Leben und auch den Tod bringen. Die Zwillingsengel. Wisst ihr? Die Zwillingsengel Leben und Tod.«
»Engel, ja«, murmelte Richard. Seine Augen waren glasig. Der ist total besoffen, dachte Luc. Und in einer komischen Stimmung. Zeit, abzuhauen. Ein betrunkener Richard mit komischer Laune bedeutete, dass bald Blut vergossen würde, und darauf hatte Luc keine Lust. Sollte er doch mit seiner Freundin Claire vor allen Leuten in voller Lautstärke streiten.
Der Kellner brachte ihm unaufgefordert ein Glas Scotch. Na gut, einen Drink noch. Schließlich hatten sie keinen Alkohol mehr daheim. »Ich kann nicht glauben, dass du diesen ganzen Stuss für bare Münze nimmst, Claire. Es sind doch nur Zwillinge. Sie sind unschuldig. Keine von ihnen verfügt über besondere Kräfte. Mach dir darüber keine Gedanken.«
»Sie haben Macht«, sagte Richard mit leiser Stimme. Er sah zu Luc auf. Es war unmöglich, seinen Blick zu deuten. »Sie haben Macht über dich, über … jeden von uns.«
Ungehalten schüttelte Luc den Kopf. »Alles Märchen. Die famille hat sie wahrscheinlich erfunden, damit ihre Kids nicht aus der Reihe tanzen.«
Richard und Claire sahen ihn ernst an. Sie hatten den gleichen glasigen Ausdruck in den Augen, der ihre scharfe Intelligenz und ihre Lebenserfahrung nicht verbergen konnte. Beides war hart erkämpft.
Luc schüttelte erneut den Kopf und trank noch einen Schluck. »Ihr macht euch zu viele Gedanken.«
Kapitel 21
Thais
»M-hm«, sagte ich und blieb an der Schwelle stehen.
Kevin sah mich unschuldig an. »Was denn?«
»Hier ist kein Mensch zu Hause und wir gehen da jetzt rein und schauen uns einen Film an. Siehst du, wie ich Anführungszeichen in die Luft male? ›Einen Film anschauen‹?«
Er lachte, nahm mich bei der Hand und zog mich sanft
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