Eine Feder aus Stein
hielt inne und sah mich an.
»Ich will dich berühren«, flüsterte er und küsste meine Schläfen. Es fühlte sich warm und so so schön an, wirklich unglaublich verführerisch. Wenn ich hätte Ja sagen können, ich hätte es getan.
Doch ich konnte nicht.
»Ich … ich kann nicht«, flüsterte ich. Mir fiel ein, wie wütend Chad Woolcott gewesen war, wie schlimm wir uns gestritten hatten, wie seine nette Fassade gebröckelt und ein abscheulicher Idiot dahinter zum Vorschein gekommen war. Bitte lass das jetzt nicht passieren.
Kevin zögerte und ich stellte mir den Widerstreit in seinem Inneren vor: Schieb noch ein bisschen an, schau, ob sie nachgibt; sei nett und warte ab, ob es sich später auszahlt …
Er zog seine Hand zurück. Er umarmte mich, küsste mein Gesicht, meinen Mund, und kuschelte sich noch enger an mich heran.
Doch ich konnte mich nicht entspannen. »Bist du … okay?«
Er sah mich an und schenkte mir ein kleines Lächeln. »Ich bin hier bei dir. Alles ist gut.«
Meine Anspannung löste sich und genau in diesem Moment hörte ich ein leises Summen. »Was war das? Ist das … der Kühlschrank oder so?«
Kevin lauschte, dann richtete er sich auf und zog sein T-Shirt herunter. »Uuups. Das ist das Tor der Auffahrt, das sich öffnet. Da ist wohl jemand nach Hause gekommen.«
Wie der Blitz setzte ich mich auf und strich mir die Kleider glatt. Das Lächeln, das er mir zuwarf, war wunderschön und provozierend zugleich.
Mit lässiger Eleganz stand er vom Sofa auf und schaltete ein paar Lampen an. Ich schnappte mir die Fernbedienung und machte den Fernseher lauter. Und da saßen wir nun und schauten einen Film, von dem wir nicht wussten, wie er überhaupt hieß, als Kevins Stiefmutter das Haus betrat.
»Kev?«, rief die Frau.
»Hey«, rief Kevin zurück. Mr Unschuld in Person. Ich warf ihm einen Blick zu. Er grinste mich an.
»Hi, Schatz«, antwortete die Frau. Ich sah, wie eine dunkle Gestalt den Flur entlangkam. Kurz darauf trat sie mit einem dicken Stapel Post, den sie durchguckte, ins Wohnzimmer. »Ich habe dein Auto gesehen«, sagte sie ohne aufzublicken. »Hattest du heute nicht eine Verabredung?«
Sie war groß und elegant, mit schwarzem Haar, das sie zu einem Knoten aufgesteckt hatte. Sogar Clio hätte ihren maßgeschneiderten Hosenanzug, wohl ein Designerstück, gut gefunden. Ihre Haut und ihre Augen waren dunkler als die von Kevin, aber warum hätten sie sich auch ähnlich sehen sollen?
»Ähm, ja«, sagte Kevin und machte den Fernseher wieder leiser. »Das ist Thais. Thais, das ist meine Mom.«
Seine Stiefmutter blickte ruckartig auf. Während sie Kevin aus zusammengekniffenen Augen ansah, versuchte ich möglichst tugendhaft zu wirken.
»Nett, Sie kennenzulernen, Mrs LaTour«, sagte ich höflich.
»Ebenso, Schatz«, erwiderte sie und wandte sich wieder an Kevin: »Allein mit einem Mädchen zu Hause? Fünf Punkte Abzug.«
Er blickte ein wenig verlegen drein, während Mrs LaTour eine Riesenshow daraus machte, wie sie versuchte, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Meine Wangen begannen zu glühen.
»Aber immerhin seid ihr hier unten. Plus zwei Punkte. Und ihr habt noch alle Kleider an. Noch mal zwei Punkte.«
Das war mir jetzt wirklich abgrundtief peinlich.
»Also, es könnte schlimmer sein«, schloss sie und legte die Post auf einem Bücherregal ab. »Ich will dich ja nicht in Verlegenheit bringen, Schatz.« In ihren Augen lag ein freundlicher Ausdruck, als sie mich ansah. »Aber Kevins Vater und ich wissen, wie leicht es ist, über die Stränge zu schlagen und einen Fehler zu machen.«
»Moooom«, stöhnte Kevin und legte seinen Kopf in die Hände.
»Besonders in einem Haus mit einem Spirituosenschrank und einem Swimmingpool.«
»Der Spirituosenschrank ist abgeschlossen!«, protestierte Kevin.
»Ich trinke nicht«, warf ich hastig ein.
»Und wir sind fast achtzehn«, betonte Kevin.
»Ja, und achtzehn ist natürlich ein ganz hervorragendes Alter, um zu heiraten und Kinder zu kriegen«, entgegnete Mrs LaTour gespielt fröhlich. »Oder noch besser, um ohne zu heiraten Kinder zu kriegen. Ich meine, wer will schon aufs College? Eine Karriere ist doch nur was für Loser! Oder?«
Kevin stöhnte nur und schüttelte den Kopf, den er immer noch auf seine Hände gestützt hatte.
Ich wünschte, ich hätte auf der Stelle im Boden versinken und auf Nimmerwiedersehen verschwinden können. Wie sollte ich seiner Stiefmutter jemals wieder unter die Augen
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