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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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deswegen gleich versuchen, uns umzubringen? Mir fiel ein, wie kalt und komisch er bei unserer ersten Begegnung gewesen war. Aber je öfter ich ihn gesehen hatte, umso netter hatte ich ihn gefunden, und irgendwann hatte ich ihn gemocht wie einen Freund. Petra hatte gemeint, er habe den Ritus unbedingt verhindern wollen und dabei den Kopf verloren. Die Mordanschläge habe er unternommen, bevor er uns kannte. Und jetzt, da wir ihm vertraut waren, würde er auf keinen Fall mehr versuchen, uns auch nur ein Haar zu krümmen.
    Das zeigte eigentlich nur, dass man niemanden wirklich kannte. Jeder log, ließ Dinge weg oder verdrehte sie – vor allem in der Treize. Sogar in meiner eigenen Familie. Petra hatte Clio in Bezug auf unseren Dad belogen. Axelle hatte mich angelogen, um mich dazu zu bringen, bei ihr zu wohnen. Wahrscheinlich hatte mich sogar Clio an irgendeinem Punkt belogen.
    Doch jetzt war es Zeit für ein paar klare Antworten.
    Immerhin wusste ich schon mal, dass Richard derjenige war, der versucht hatte, uns umzubringen. Und ich wusste, dass sich die ganze Treize in New Orleans versammelt hatte. Ich wusste, Clio und ich würden – sofern wir dem Ritus zustimmten – eine wichtige Rolle darin spielen. Und nun wollte ich wissen, wie ich überhaupt hierhergekommen war.
    In der Canal Street stieg ich aus der Straßenbahn aus, überquerte die Straße und lief Richtung Französisches Viertel. Ich hatte das Gefühl, schon lange Zeit in New Orleans zu leben. So, als entspräche jeder Tag einem ganzen Jahr voller Empfindungen, als wäre es schon Ewigkeiten her, dass ich in Connecticut gewohnt hatte. Und auch bei Axelle.
    Da ich ihr ihre Schlüssel nie zurückgegeben hatte, konnte ich das Seitentor jetzt aufsperren. Als ich vor ihrem Apartment stand, legte ich die Hand flach auf die Tür und schloss die Augen.
    Nichts.
    Doch, Moment … Ich konzentrierte mich und merkte, wie ich überraschend schnell in einen Zustand fokussierter Aufmerksamkeit sank und fast eins wurde mit der Tür und den Dingen, die mich umgaben. Im Inneren des Apartments fühlte ich Axelle. Aber sonst niemanden. Gut.
    Ich sperrte die Tür auf, die sich zu dem vertraut schummerigen, rauchigen Eingangsbereich hin öffnete, der direkt ins Wohnzimmer führte. Einen Augenblick später kam Axelle aus ihrem Schlafzimmer.
    »Wer … Thais? Wie bist du hier reingekommen?«
    Ich schwenkte die Schlüssel. »Ich will ein paar Antworten. Und du wirst sie mir geben.«
    Verwirrt hielt Axelle inne und sah mich an: »Clio?«
    Ich starrte sie an. »Wa…? Nein! Kannst du uns jetzt nicht mehr auseinanderhalten, oder wie? Ich bin’s, die, die mal bei dir gewohnt hat!«
    »Entschuldige.« Axelle machte es sich in dem schwarzen Ledersessel bequem, legte ihre Beine über die zu prall gepolsterte Armlehne und schlug sie übereinander. »Ich wusste, dass du es bist. Aber du erschienst mir so anders. Für einen kurzen Moment zumindest. Was ist los?« Sie griff nach ihrem altmodischen silbernen Zigarettenetui, nahm sich eine Zigarette und zündete sie an.
    Auch ich trat nun ins Wohnzimmer und ließ meinen Rucksack auf den Boden fallen, der über und über mit Zeitungen bedeckt war. Bestimmt vermisste Axelle mich, Küchenfee und Putzservice in einer Person.
    »Ich habe dir doch gesagt, ich will ein paar Antworten. Wie wär’s, wenn wir damit anfangen: Hast du meinen Dad umgebracht?«
    Axelle wirkte erschrocken. »Das kommt ein bisschen plötzlich, findest du nicht? Was um alles in der Welt ist denn los?«
    »Nichts. Ich fange lediglich am Anfang an. Und glaub mir, zu den aktuelleren Gegebenheiten kommen wir noch.« Ich fühlte mich sehr selbstbewusst, als hätte ich alles unter Kontrolle. Das war ungewöhnlich, doch gleichzeitig kam es mir ganz natürlich vor, als wäre es schon immer in mir gewesen und würde nun endlich zutage treten. »Also, was war mit meinem Dad?«
    Axelle schüttelte energisch den Kopf, sodass ihr seidig schwarzer Pagenkopf wie eine Glocke hin- und herschwang. »Nein, ich habe ihn nicht getötet. Absolut nicht.«
    »Dann war es also Daedalus?«, fragte ich, oberflächlich ruhig.
    »Zu mir hat er gesagt, er sei es nicht gewesen.«
    »Glaubst du, dass er es getan hat?«
    Axelle schien ihre nächsten Worte vorsichtig abzuwägen. »Ich weiß es nicht. Damals habe ich es nicht geglaubt – ich dachte, es sei alles ein Riesenzufall. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Es wäre möglich, dass er es war.«
    Dass mein Dad bei einem so seltsamen Unfall

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