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Eine feine Gesellschaft

Eine feine Gesellschaft

Titel: Eine feine Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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zur Ruhe gesetzt hat.
    Doch als Clemance und sie Platz genommen hatten, war ihr erster Gedanke, wie alt er geworden war. Die Ereignisse des Frühjahrs hatten ihm zugesetzt. Sein weißes Haar hatte er wachsen lassen, was ihm gut stand, weil er jetzt nicht so sehr wie Emerson aussah als vielmehr wie Kates Vorstellung von Emerson. Aber es waren weder seine weißen Haare noch das faltige Gesicht, noch die sechzig Jahre, die Kate am meisten bekümmerten. Es war vielmehr die Aura unde-finierbaren Bedauerns, wenn nicht sogar der Verzweiflung, die er ausstrahlte.
    »So bedurfte es denn einer Revolution, damit wir uns zum Lunch treffen«, sagte er. »Das ist schon schlimm. Nun ja, vielleicht ist das alles Schicksal – wissen Sie, ich glaube, die Griechen hatten recht: Mit einem Familienfluch läßt sich leichter leben als mit einer persönlichen Schuld.«
    »Ach, da bin ich nicht sicher«, sagte Kate. »Es muß doch ziemlich ärgerlich sein, in Schwierigkeiten zu geraten, nur ›wegen einer Ur-Ur-Großmutter, die mal von einem heiligen Stier verführt worden ist‹.«
    Clemance lächelte. »Wie war denn die Auden-Dissertation?«
    fragte er. »Ich habe die Sache über all dem Wirbel einfach vergessen. Es war sehr nett von Ihnen, daß Sie geholfen haben.«
    Kate zog es vor, über die Einzelheiten dieses Ereignisses hin-wegzugehen. »Es war eine ausgezeichnete Dissertation – sie wußte 47

    Audens Dichtkunst zu würdigen, ohne sich gegenüber seiner Person und seinem Leben gönnerhaft zu geben. Mr. Cornford verfügt über die segensreiche Einsicht, daß ein neues Gedicht von Auden ein Ereignis für unsere jeweilige Biographie bedeutet, wir aber kein Recht haben, uns in die seine einzumischen.«
    »Würden Sie ihn nicht trotzdem gern einmal kennenlernen?«
    »Nein«, sagte Kate. »Wirklich nicht. Oh, ich hoffe sehr, ihn eines Tages einmal seine Gedichte lesen zu hören oder noch einmal im Fernsehen zu erleben. Aber ihn kennenlernen: nein. Ich hätte Angst, ihn zu Tode zu langweilen; oder, noch schlimmer, mich zu benehmen wie diese Trottel, die er in dem Gedicht für MacNeice schildert, wie sie über ›Entfremdung‹ reden. Wenn ich ihn kennenlernen wür-de, wäre ich sicher so nervös, daß ich über irgend etwas Vorträge halten würde. Außerdem ist Auden auch nur ein Mensch: Wie wir alle hat auch er seine Dämonen, seine kleinen Launen und Gereizt-heiten – das muß einfach so sein. Woran mir liegt, das sind seine Gedichte und seine Gestalt, seine literarische Persönlichkeit, die ich mir im Lauf der Jahre zusammengesetzt habe.«
    »Sie reagieren wahrscheinlich instinktiv richtig. Wie Auden das in einem seiner kleinen humorigen Gedichte ausdrückt: ›Ich kann nicht schießen – aber spein!‹ Was sind für Sie die wichtigsten Ereignisse in Audens Biographie?«
    Kate sah Clemance an. Sie bewunderte sehr, wie er sich bemühte, heiter zu wirken. Ihr fiel Audens Gedicht für T. S. Eliot ein:

    Du warst es, der, nicht sprachlos geworden vom Schock, die richtige Sprache fand
    für Durst und Angst, und viel dazu tat, eine Panik zu verhindern.

    »Also«, sagte sie, »was ich habe, ist eigentlich nur eine Ansammlung von Schnappschüssen, die Audens Freunde aufgenommen haben. Isherwood beschreibt Audens Hüte, den Opernhut zum Beispiel,
    ›der zu der Periode gehört, als er beschloß, Dichter hätten auszuse-hen wie Bankdirektoren, morgens im Cut mit gestreiften Hosen, abends im Frack mit Schwalbenschwanz. Dann besaß er eine Arbei-termütze mit schwarz lackiertem Schirm, die er gekauft hat, als er in Berlin lebte, und die schließlich verbrannt werden mußte, weil er sich eines Abends im Kino in sie übergeben hatte.‹ Außerdem besaß er einen Panamahut mit schwarzem Band, der für Audens ›Vorstel-48

    lung von sich selbst als irrem Geistlichen stand, was immer eine seiner Lieblingsrollen war‹. Isherwood ist wirklich die beste Quelle für Geschichten über Auden. Am besten gefällt mir die von Auden in China 1938, als er zusammen mit Isherwood der Übersetzung eines Gedichtes lauschte, das man ihnen zu Ehren auf chinesisch verfaßt hatte. Um sich nicht ausstechen zu lassen, antwortete Auden mit einem Sonett, das er tags zuvor geschrieben hatte. Auden hatte eine Visitenkarte in China, auf der er Mr. Au Dung hieß.« Kate kicherte.
    »Natürlich gibt es noch viel mehr, aber Sie kennen ihn ja, deshalb sollte ich vielleicht…«
    »Oh bitte, erzählen Sie weiter«, sagte Clemance.
    »Manche Anekdoten über Auden sind nicht

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