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Eine feine Gesellschaft

Eine feine Gesellschaft

Titel: Eine feine Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Lehrer.«
    »Alles, was ich über ihn als Lehrer weiß, ist eine weitere Beson-derheit, die wir gemeinsam haben: Wir sind die beiden einzigen Literaturprofessoren, die je ihren Studenten gestanden haben, daß sie den ›Don Quixote‹ niemals zu Ende gelesen haben.«
    »Gut, daß ich das nicht gewußt habe, als ich für Ihre Berufung zur Professorin gestimmt habe.«
    »Professor Clemance, ich habe mir oft die Gelegenheit ge-wünscht, Ihnen sagen zu können, daß ich von Ihnen mehr gelernt habe – über Literatur, über etwas, das ich nur mit Moral umschreiben kann, und über die Ehre des Berufs des Literaturprofessors – als von irgendwem sonst an der Universität. Aber Sie schienen sich nur für junge männliche Schüler zu interessieren, und ich wollte Sie nicht mit einer älteren Anhängerin weiblichen Geschlechts belasten. Sie wissen ja sicher, daß kein Lehrer abschätzen kann, wie weit sein Einfluß reicht.«
    »Ich erinnere mich, daß Sie über ›Portrait of a Lady‹ eine Arbeit geschrieben haben. Ich habe mich nie besonders um weibliche Studenten gekümmert. Das war ein Fehler. Mag sein, daß es am University College Isabel Archers gibt.«
    Kate sah ihn eine Zeitlang an. »Vielleicht«, sagte sie. »Ist alles in Ordnung – mit Ihnen persönlich, meine ich?«
    »Nein«, sagte er. »Mein Herz ist gebrochen. Ich spüre den Schmerz.« Kate fiel auf, wie es ihm immer wieder gelang, dramati-sche Dinge einfach auszudrücken, so, als hätte er keine Angst vor Gefühlen. »Hat diese Studentenrevolte Ihnen nicht das Herz gebrochen, Ihre Liebe zur Universität beeinträchtigt?«
    »Nein«, sagte Kate. »Egal, wie sehr ich die Rosenblätter in den Fingerschalen geliebt habe, ich kenne meine Brüder zu gut. Ich habe nie etwas übrig gehabt für Playboys oder Reaktionäre, und beide sind das Ergebnis desselben Prozesses, der auch diese Fingerschalen geschaffen hat. Ich liebe Begabung, aber ich habe nichts für Privile-gien übrig, die als selbstverständlich angesehen werden. Anders ausgedrückt, ich habe nichts für eine Gesellschaft übrig, die Platz hat für einen Oblonski, aber keinen für eine Anna Karenina oder einen Wronski.«
    »Und was ist mit Lewin?«
    »Lewin wäre es ohne seine Landgüter und seine Leibeigenen er-53

    gangen wie Anna. Heute sind wir alle Annas.«
    Clemance saß eine Weile schweigend da. »Am Montag findet ei-ne Institutsversammlung statt«, sagte er schließlich. »Kein Zweifel, daß die ganze Geschichte« – er machte die für ihn typische Handbewegung – »dabei zur Sprache kommt.«
    »Kein Zweifel.«
    »Jeremiah Cudlipp und Robert O’Toole haben eine eindeutige Meinung zu diesem Thema. Eine sehr eindeutige.«
    »Das habe ich gehört«, sagte sie. »Professor Clemance, lassen Sie mich Ihnen eine Neuigkeit erzählen, die nichts mit der Universität zu tun hat: Ich werde heiraten.«
    »Tatsächlich? Das freut mich. Es ist schön, wiedergeboren zu werden im Land der Rücksichtnahme.«
    »Das Land der Rücksichtnahme. Was für eine schöne Definition der Ehe.«
    »Ja«, sagte Clemance. »Und wenn man sich in mittleren Jahren dafür entscheidet, ist das die beste Definition, die ich kenne.«
    Nachdem Kate sich vor dem Club von Clemance verabschiedet hatte, wanderte sie ein wenig auf dem Campus herum; der Herbst war ihr die liebste Jahreszeit, abends würde sie Reed zum Dinner treffen, sie war glücklich. Der Campus wirkte friedlich, freundlich, was vielleicht ein falscher Eindruck war, aber »wann war der Frieden und das Lächeln, das ihn begleitet, etwas anderes als unverdient«? Vielleicht, dachte sie, ist Reed heute früher fertig.
    Sie war überrascht, wenn auch nicht allzu sehr, an der Bushalte-stelle McQuire zu sehen, der auf sie wartete.
    »Noch ein paar unsittliche Anträge?« fragte Kate.
    »Ich bin Frogmores Kuppler. Ich habe ihm versprochen, daß ich versuche, Sie zu einem Gespräch in den Club zu schleppen. Wir haben gehört, daß die Institutsversammlung am Montag stattfindet, und würden Ihnen gern vorher noch ein paar Dinge ins Ohr flüstern.«
    »Ich komme gerade aus dem Club«, sagte Kate, »mäßiges Essen, glänzende Gespräche. Als ich mich auf diese Geschichte eingelassen habe, war mir nicht klar, daß ich auch samstags arbeiten würde.«
    »Gehen Sie mit mir zurück in den Club. Ich verspreche Ihnen feierlich, daß dies die letzte Entführung ist.«
    »Übrigens«, sagte Kate, während sie den Club ansteuerten, »was interessiert Sie eigentlich so am University

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