Eine feine Gesellschaft
Mangel an Bildung im eigentlichen Sinne des Wortes. Ich glaube, weil wir jedem eine Chance geben wollen, opfern wir unsere wirklich begabten Leute.« Clemance machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ich schweife ab«, sagte er. »Ich weiß nicht, wieso ich angenommen habe, Sie würden verstehen, wovon ich spreche.«
»Ihr Instinkt hat Sie nicht getäuscht«, sagte Kate. »Ich ertrage keine schlechten Manieren und mag es nicht, wenn Fremde mich beim Vornamen nennen, aber mir ist auch klar, daß hinter vermeint-lich guten Manieren manchmal üble Gesinnung und Feindseligkeit stecken. Meine Brüder haben hervorragende Manieren, aber im Grunde sind sie die rüdesten Männer, denen ich je begegnet bin. Sie sehen, auch ich schweife ab. Mein ungehobeltster Student hat Princeton mit einem Voll-Stipendium absolviert, und soweit ich das beurteilen kann, redet er nur über Dialektik und Hermeneutik und gehört zu einer mechanisierten Generation, die zufällige Grunzlaute schon für höhere Weisheit hält<. Halten Sie die Studenten am University College für ungehobelter als die an Ihrem eigenen Institut?
Den Eindruck habe ich nicht.«
»Vielleicht wollte ich gar nicht über Manieren reden. Vielleicht meine ich Leistungen.«
»Da bin ich Ihrer Meinung. Aber, Professor Clemance, akademische Leistungen sind nicht so leicht meßbar. Immer mehr Studenten bekommen bei den Aufnahmeprüfungen für das College die besten Noten – mein Absolvent mit dem orakelhaften Grunzen hat sehr gut abgeschnitten –, aber Leistung läßt sich eben so und anders messen, je nachdem, wie weit man mit den Anforderungen heruntergeht. Die Absolventen des University Colleges studieren zum großen Teil weiter – in erstaunlich großer Zahl, wenn man an das Durchschnitts-alter der Studenten denkt. Ich weiß, daß einige dieser älteren Studen-51
ten, vor allem die älteren Studentinnen, die Bürschchen an der Uni langweilen, wenn sie in deren Übungen und Kursen auftauchen.
Aber offen gesagt, langweilen Ihre Bürschchen mich wiederum. Ich habe jungmännliche Überheblichkeit, selbst wenn sie mit großem Talent gepaart war, nie besonders reizvoll gefunden, während Ihnen das natürlich so gegangen sein muß. In dem Punkt werden wir uns wohl nicht einigen können.«
»Sie beschuldigen mich der Voreingenommenheit?«
»Ja, stimmt. Und was die Manieren angeht, da haben Ihre Uni-Jungs weit weniger. Die haben als Revolutionäre die originelle Idee gehabt, dem Universitätspräsidenten auf den Teppich zu pinkeln. Die waren es doch, die die Polizisten Schweine genannt und der Leitung einen zweideutigen Namen verliehen haben, den ich hier lieber nicht wiederhole, um uns nicht in Verlegenheit zu bringen. Was ich so schwer verstehen kann, ist: Was fürchten Sie so sehr am University College – Sie alle, meine ich? Diejenigen, die nicht damit zufrieden sind, sich im Eiltempo durch Schule, College und Universität zu arbeiten und dann in die väterliche Anwaltskanzlei einzusteigen, machen auf mich einen klugen Eindruck. Es ist schließlich besser, sich Zeit zum Nachdenken zu lassen, und ein Land wie dieses sollte auch ein College für diejenigen haben, die klüger geworden sind und sich für eine spätere, anders geartete Ausbildung entschieden haben oder für den Start in ein zweites Leben.«
»Miss Fansler, könnte Ihr University College einen Mann wie Auden hervorgebracht haben?«
»Nein. Aber die Institution, an der Sie arbeiten, genausowenig, Professor Clemance.« (Es war für Kate ein Erbe aus der Zeit, als Kinder noch »erzogen« wurden, daß sie es nicht fertigbrachte, Clemance mit »Frederick« anzureden – eine Schwierigkeit, die Reed, der nie eine Gouvernante hatte, absurd fand.) »Auch Oxford hat Auden nicht hervorgebracht, obwohl es ihm seine Parties auf dem Zimmer erlaubt hat; und auch sein Vater nicht, aus dessen medizini-schen Büchern er die Dinge des Lebens lernte, die er dann in seiner Klasse an die Tafel malte, oder seine Mutter, die er liebte und der er ähnlich sah. Was schafft einen Auden? In der Jugend einen Freund wie Isherwood zu haben?«
»Würde es Ihnen nicht gefallen, wenn Auden Ihnen eines seiner Gedichte widmete?«
»Tagträume habe ich aufgegeben. Nein, ich hätte bei Auden immer die ganz furchtbare Angst, ihn zu langweilen oder als Schreck-52
schraube zu wirken. Stellen Sie sich nur die Folgen vor: Man müßte sich ja ertränken, um das zu vergessen.«
»Gar so schlimm ist er nicht; er ist ein hervorragender
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