Eine feine Gesellschaft
zu drucken, obwohl ich sie natürlich schwarz auf weiß gesehen habe. Mir gefällt ganz besonders der Kritiker, der von Auden sagt, daß er viel, sorglos und wunderbar schreibt, ohne für diese Inspiration einen erkennbaren Preis zu bezahlen. Auden ist der einzige Dichter, den ich kenne, auf den das zutrifft – eben ein großer Dichter.«
»Ich denke, Sie lesen keine Kritiken über Auden.«
»Das tue ich auch nicht; darüber bin ich nur durch Zufall gestol-pert.«
»Kennen Sie Audens Erklärung für die Erziehungsprobleme von heute?«
»Nein, nie gehört. Nicht genügend Denkmäler für dahingegange-ne Größen?«
»Sie sind dicht dran. Nicht genug Parties auf den Zimmern der Erstsemester – von der Art, wie sie Auden in Oxford gegeben hat.«
»Oh, ja«, sagte Kate:
»Ach! Diese Zwanziger, bevor ich zwanzig war, Als Neuigkeiten uns niemals betrübten, Als der Küchenchef viele Bewunderer hatte Und wir in unseren Zimmern Festessen gaben.
Da ich nie in meinem Zimmer zum Essen eingeladen habe, weiß ich nicht, ob das stimmt. Aber wir, Auden und ich, haben eine Merkwürdigkeit gemeinsam: wir haben uns als Kinder so daran gewöhnt, in jeder Gesellschaft die Jüngsten zu sein, daß wir uns noch heute oft als die Jüngsten im Raum fühlen, obwohl wir, was inzwischen oft genug vorkommt, die Ältesten sind.«
»Um auf die betrüblichen Neuigkeiten zu kommen, wie wir das 49
früher oder später tun müssen«, sagte Clemance, »ich habe gehört, daß Sie dieses University College unterstützen, das ich, wie ich fürchte, immer für eine Art Volkshochschule gehalten habe. Es heißt, daß Sie, im Unterschied zu meinen Kollegen, den Professoren Cudlipp und O’Toole, tatsächlich meinen, das University College sei wichtiger und besser als die Universität, auf die ich gegangen bin und an der ich heute lehre. Cudlipp und O’Toole sind überzeugt, daß das University College als eine – wie sie sich ausdrücken – Institution für Studienabbrecher den Wert jedes anderen Abschlusses an dieser Universität mindert. Ich vermute, Sie sind nicht dieser Ansicht?«
»Das bin ich wirklich nicht«, sagte Kate. »Warum sollten Sie etwas anderes angenommen haben?«
Clemance lachte. »Eine gute Frage«, sagte er. »Warum auch?
Kate Fansler, wenn ich Sie jetzt fragen würde, an was aus Ihrer Kindheit Sie sich spontan erinnern, was würden Sie antworten? Sie wissen schon, wie in diesen Assoziationsspielen, von denen man immer so viel hört.«
»Rosenblätter«, sagte Kate.
Clemance sah sie überrascht an.
»Ja, es mag seltsam erscheinen, und um nichts in der Welt würde ich das gegenüber meinen revolutionären Studenten zugeben, aber ich erinnere mich an Rosenblätter in Fingerschalen, sogar in Nantucket, wo wir immer den Sommer verbrachten. Ich habe als Kind eine Wirtschaftskrise erlebt und dann einen Krieg; trotzdem war meine Kindheit wie die Edwardianische Ära, als, wie alle Welt weiß, die Sonne immer schien. Wir hatten in New York und in Nantucket immer eine Köchin, dazu eine Wäscherin, die stundenlang an der Mangel saß, Dienstmädchen, die die Treppen hinauf und hinunter rannten, und zum Dinner hatten wir Fingerschalen mit Rosenblättern darin. Meine Brüder waren in der Schule und dann im Krieg; ich hatte eine Gouvernante. Ist das wichtig?«
»Es klingt sehr nach Proust.«
»Das habe ich vor kurzem zu hören bekommen. Die Duchess of Guermantes wäre mir immer fremd geblieben, aber ich hätte Tante Leonie kennen können und die beiden Wanderwege und die Weiß-
dornblüten. Stellt das eine Verbindung zum University College her, die ich nicht verstehe?«
Clemance beugte sich vor, schürzte nachdenklich die Lippen und brachte einen seiner wohlüberlegten Sätze hervor, die nur langsam 50
entstehen konnten. »Ich habe eine Grundschule für begabte Jungen besucht«, sagte er, »und auf die Uni konnte ich nur gehen, weil ich ein Teilstipendium bekam und zu Hause wohnen konnte, und weil meine Eltern jahrelang das Geld zusammengespart hatten, damit ich hier und nicht am City College studieren konnte. Ich weiß, das City College hat zu meiner Zeit und auch später Jahrgänge gehabt, aus denen ein paar der brillantesten Männer unseres Landes hervorge-gangen sind, aber an dieser Institution hier gab es etwas, was mir besonders zusagte und was ich nur mit dem Wort Kultur umschreiben kann – eine Form von Höchstleistungen, die nicht allein aus dem Ehrgeiz entstand. Ich fühle mich beleidigt von den Manieren und dem
Weitere Kostenlose Bücher