Eine Frage der Balance
ausgehen, zünden wir die nächsten an. Auf diese Weise haben wir neunmal so lange davon.«
Will rieb sich das Gesicht, während er überlegte. »Der einzige Haken dabei ist, daß jemand sie im Auge behalten muß, um rechtzeitig das nächste Paar anzuzünden.«
»Ich wollte ohnehin wachbleiben und aufpassen.«
»Wenn das so ist, können wir uns darauf einigen, daß ich eine Mütze voll Schlaf nehme? Ich bin bei Tagesanbruch aufgestanden, um die Ziegen zu melken.«
»Keine Einwände.«
Also kroch Will gewaltig gähnend, unter meine stellenweise blutige Decke und war fast augenblicklich eingeschlafen. Er rührte sich nicht einmal, als Zinka wieder hereinkam.
»Du hattest recht«, berichtete sie. »Und ich dachte schon, du würdest wieder überall Gespenster sehen. Nichts für ungut. In dem Zimmer hing ein wirklich starker Hörigkeitsbann. Und ich meine stark, selbst ein kleiner Egoist wie dein Freund Nick würde nach fünf Minuten in diesem Zimmer alles tun, was die beiden von ihm verlangen. Ich habe ihn unschädlich gemacht, aber äußerlich so belassen, daß man glaubt, er wäre immer noch aktiv. Ist das in deinem Sinne?«
»Ja. Danke dir, Zinka. Außer - hat er einen Computer?«
»Einen niedlichen kleinen Laptop. Aber mit Computern kenne ich mich nicht aus.«
»Ich werde morgen einen Blick darauf werfen.« Ich seufzte. Nach meiner Erfahrung mit Marees Computer konnte man davon ausgehen, daß auch mit dem von Nick etwas nicht stimmte. Die Liste der Dinge, die ich morgen zu erledigen hatte, wurde länger und länger, wie der Kassenzettel in einem Supermarkt.
Nachdem Zinka sich zu ihrer Roomparty begeben hatte, drehte ich den Frisierhocker mit der Lehne zur Tür und klappte den Rollstuhl zusammen, denn mir war eingefallen, daß der - bequemere - Rollstuhl nach vorn geschoben werden konnte, zwischen die Kerzenreihen, sollte jemand wie Zinka, für den Schlösser kein Hindernis darstellten, plötzlich hinter mir ins Zimmer kommen. In so einem Fall wurde ich ohne eigenes Wollen oder Zutun mitten in eine Gramarye hineinbefördert, die ich von außen steuern sollte. Zinka und Will hatten nicht übertrieben, was die da mi t verbundenen Gefahren anging. Wäre es nicht um Maree gegangen, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, selbst in das Schattenland zu gehen.
Ich knipste das Licht aus und ließ mich auf dem Frisierhocker nieder. Aus der Dunkelheit ins Dunkel schauend - die beiden Kerzen brannten nur mit einem schwachen Glimmen -, konnte man die Szenerie da draußen etwas deutlicher erkennen. Es sah aus, als hätte jemand mit grausilbernem Airbrush die Andeutung einer hügeligen Hochmoorlandschaft auf schwarzes Papier gestäubt, durchzogen von dem schimmernden Band eines vielfach gewundenen Weges. Weit, weit entfernt, in der Tiefe des Bildes, eine Ahnung von irgendwas, aber ich konnte nichts wirklich erfassen. Ich ko nnt e nicht hingehen. Sinnlos zu spekulieren, wie es den drei Reisenden dort draußen erging. Ich mußte mich darauf beschränken, die Straße zu erhalten und die Kerzen zu hüten.
Nach einer Weile machte die Party sich akustisch bemerkbar, wenn auch gedämpft durch die Schutzwälle um mein Zimmer. Ich war froh darüber. Ganz unmerklich war ich in den Sog genau der Gedanken geraten, die ich mir vorgenommen hatte, nicht zu denken, und der ausgelassene Radau half. Er erinnerte mich daran, daß es außerhalb dieses Zimmers Leben gab. Ich dachte an Rob, leichtblütiger, labiler junger Kentaur mit einem zur Gewohnheit gewordenen >Ich bin klein, mein Herz ist rein<-Gehabe. Rob erwartete, daß Erwachsene mit ihm schimpften. Nach meiner Einschätzung war ihm das lieber, als einen Fehler einzusehen und sich selbst die Schuld geben zu müssen, doch falls irgend möglich, würde er sich natürlich vor beidem drücken. Unschuldig lächelnd, selbstverständlich. Vielleicht lag es an der Erziehung durch dieses grimmige, granitene Standbild Knarros. Wills Vorhaltungen hatten Rob beschämt und zu einer großen Geste verführt, doch Knarros hatte Will gegenüber einen Vorsprung von vielen Jahren. Falls die Reise tatsächlich mit Schwierigkeiten gespickt war, wie das Gedicht vermuten ließ, stand für mich fest, daß Rob als erster aufgeben würde.
Anschließend versuchte ich mir über Nick klarzuwerden. Nicks Persönlichkeit schien mir tiefer, stärker und komplexer zu sein als Robs. Wenn Nick sich aus dem Staub machen wollte, kündigte er es nicht vorher an, wie Rob es tat. Er verschwand einfach. Darin war er,
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