Eine Frage Der Groesse
Menschheit«, heißt es in der wohl umfassendsten Studie zu diesem Thema, die im Jahr 2007 das Forscherteam um die Evolutionspsychologin Susan Hughes an der Universität von Albany im US-Bundesstaat New York ausarbeitete. »Selbst in Kulturen, wo es das Küssen nicht gibt oder es verdammt wird, blasen sich Sexpartner gegenseitig ins Gesicht, lecken oder saugen daran oder reiben es kurz vor dem Geschlechtsverkehr.« In unserer Kultur ist der erste Kuss zugleich die erste Prüfung, ob eine romantische Zuneigung in eine Partnerschaft münden könnte. In der Untersuchung berichteten die befragten College-Studenten häufig von folgender Situation: Sie hatten sich von einem Mitglied des anderen Geschlechts sehr angezogen gefühlt, aber nach dem ersten Kuss schlagartig jegliches Interesse verloren.
Besonders interessant waren die vielfältigen Einsichten, die sich aus Hughes’ Untersuchung über das unterschiedliche Kussverhalten der beiden Geschlechter ergaben:
− Frauen küssen häufiger, um abzuchecken, ob ein bestimmter Mann für sie als Partner infrage kommt. Tatsächlich werden beim Küssen mehr Informationen vermittelt, als man zunächst glauben sollte: Abgesehen von genetischen Faktoren (siehe voriges Kapitel) erfährt man automatisch und zu einem großen Teil unbewusst auch sehr viel über Schüchternheit bzw. Selbstbewusstsein des anderen, über seine Körpersprache, seinen Atem und seine Mundhygiene – was alles weitergehende Rückschlüsse zulässt. Männer sind viel eher bereit als Frauen, auch mit jemandem, der schlecht küsst, in die Kiste zu steigen. Jeder zweite Mann könnte auf das Küssen vor dem Sex sogar komplett verzichten – aber nur zehn Prozent aller Frauen. Die allermeisten Frauen legen darüber hinaus auch während des Geschlechtsverkehrs auf das Küssen viel mehr Wert.
− Männer küssen eher, um weitergehende sexuelle Handlungen einzuleiten oder sich mit jemandem zu versöhnen, Frauen hingegen, um den Status der Beziehung zu etablieren und gelegentlich die Hingabe ihres Partners zu überprüfen. Generell wird für Männer das Küssen im Lauf einer Beziehung immer weniger wichtig; bei Frauen ist es umgekehrt.
− Männer gehen eher als Frauen dazu über, mit offenem Mund und Zungenkontakt zu küssen. Während beide Geschlechter Zungenküsse mit einem Langzeitpartner genießen, ziehen nur Männer diese Technik bereits bei einer Kurzzeitpartnerin vor. Der Grund dafür besteht vermutlich darin, dass Männer weniger gut als Frauen wichtige Informationen über den Partner durch die Wahrnehmung von dessen Speichel erhalten können, so dass sie mehr davon benötigen, bevor sie eine Entscheidung fällen. Dazu kommt, dass sich zum Beispiel der Atem einer Frau im Zusammenhang mit ihrem Monatszyklus verändert.
− Männer werden vor allem durch ein hübsches Gesicht angeregt, jemanden zu küssen (Frauen eher durch gute Zähne).
Etwa zur gleichen Zeit wie Hughes führte das Team um die amerikanische Neurologin Wendy Hill eine weitere Untersuchung durch, die Rückschlüsse auf Geschlechterunterschiede beim Küssen zuließ. Die Forscher hatten fünfzehn Studentenpärchen in den Sanitätsräumen des Universitätsgebäudes zunächst Blut abgenommen und diese danach gebeten, ihren Partner eine Viertelstunde lang intensiv zu küssen. Darauf folgte eine zweite Blutprobe. In beiden Proben waren die Hormone Cortisol und Oxytocin zu finden. Cortisol wird bei Stress ausgeschüttet, Oxytocin spielt eine wichtige Rolle beim Entstehen zwischenmenschlicher Verbundenheit. Der Spiegel des Stresshormons Cortisol war bei beiden Geschlechtern nach dem viertelstündigen Rumgeknutsche gesunken, der Spiegel des Bindungshormons Oxytocin allerdings war nur bei den Männern gestiegen, bei den Frauen hatte sich dessen Menge sogar verringert.
Letzeres war für die Wissenschaftlergruppe überaus verblüffend. Bald allerdings gelangten die Wissenschaftler zu der Vermutung, die sterile Kühle der medizinischen Räumlichkeiten könnte die Frauen massiv abgetörnt haben. Also wiederholten sie den Versuch mit einer weiteren Gruppe – jetzt in einem Raum, der mit Blumen geschmückt war und in dem romantische Musik lief. Diesmal sank nicht nur bei sämtlichen Versuchspersonen der Pegel des Stresshormons, auch bei den Frauen wurde jetzt das Bindungshormon Oxytocin verstärkt ausgeschüttet. Womit man etwas medizinisch bewiesen hatte, was vielen ohnehin schon klar war: Für Frauen spielt beim Küssen die Atmosphäre eine große
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