Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja
desselben Jahres 48 erteilte mir Lew Nikolajewitsch die Vollmacht für alle Vermögensangelegenheiten einschließlich der Herausgabe seiner Werke. Unerfahren, ohne eine Kopeke Kapital begann ich von Grund auf das Verlagsgeschäft zu erlernen und mich um den Verkauf und die Subskriptionen der Werke L. N. Tolstois zu kümmern. Ich hatte unsere Güter zu verwalten und alle anderen Geschäfte zu führen. Wie schwierig war all dies neben der Sorge für die große Familie und ohne jegliche Erfahrung! Wiederholt hatte ich auch mit den Zensurbehörden zu tun und mußte deshalb nach Petersburg reisen.
Lew Nikolajewitsch rief mich in sein Arbeitszimmer und bat mich, sein gesamtes Vermögen einschließlich der Autorenrechte als mein Eigentum zu übernehmen. Ich fragte ihn, weshalb das nötig sei, da wir einander doch so nahestünden und Kinder hätten. Er antwortete, er halte Eigentum für ein Übel und wolle keines besitzen.«So willst du also dieses Übel mir, dem dir am nächsten stehenden Menschen, übergeben», antwortete ich und brach in Tränen aus.«Ich möchte dies nicht und werde nichts übernehmen.»Aus
diesem Grund übernahm ich das Eigentum meines Mannes nicht, führte die Geschäfte gemäß seiner Vollmacht, und erst einige Jahre später erklärte ich mich mit der Aufteilung des Besitzes einverstanden, bei der im übrigen der Vater selbst bestimmte, welchen Anteil jedes der Kinder und welchen ich erhalten sollte. Auf die Autorenrechte an Werken, die nach 1881 geschrieben wurden, verzichtete er vollständig. 49 Die Rechte an seinen früheren Werken jedoch behielt er bis an sein Lebensende. Die Aufteilung des Besitzes war 1891 abgeschlossen, Jasnaja Poljana wurde dem jüngsten Sohn Wanetschka und mir zugesprochen.
In ebenjenem Jahr 1891 fand ein für mich wichtiges Ereignis statt. Im April reiste ich nach Petersburg, um die Freigabe des beschlagnahmten dreizehnten Bandes der Werkausgabe von L. N. Tolstoi, der unter anderem die verbotene«Kreutzersonate»enthielt, durch die Zensur zu erwirken. Ich wandte mich mit einem Gesuch an Zar Alexander III. Er erwies mir die Gnade, mich zu empfangen, und ordnete nach meiner Abreise die Freigabe des verbotenen Buches an, unter der Bedingung, daß die«Kreutzersonate»nicht als Einzelausgabe verkauft werde. Gleichwohl veröffentlichte jemand heimlich diese Erzählung,
und Neider verleumdeten mich vor dem Zaren, indem sie behaupteten, ich hätte seinem Wunsch nicht entsprochen. Seine Majestät war verständlicherweise sehr ungehalten und sagte, wie mir die Gräfin Alexandra Andrejewna Tolstaja übermittelte:«Wenn ich mich in dieser Frau getäuscht habe, dann gibt es keine ehrlichen Menschen auf der Welt.»Von alldem erfuhr ich erst sehr viel später und konnte nicht mehr darlegen, wie es sich tatsächlich verhalten hatte. Dies betrübte mich sehr, um so mehr, als der Zar inzwischen verschieden war und so die Wahrheit nie erfuhr.
VIII
Das Jahr 1891 und die beiden darauffolgenden Jahre waren für uns besonders bedeutungsvoll wegen der Unterstützung unserer Familie für das russische Volk während der Hungersnot. Von den Nachrichten über dieses Unglück erschüttert, entschloß ich mich, in den Zeitungen einen Spendenaufruf für die Hungernden zu veröffentlichen. Und wie sehr freute ich mich über die warmherzige Anteilnahme jener guten Menschen, die uns großzügige Spenden zukommen
ließen, denen oft ergreifende Briefe beigelegt waren. Ich war mit den vier kleinen Kindern in Moskau geblieben, und die Trennung von meinem Mann und den älteren Kindern, die den unterschiedlichsten gefahrvollen Situationen ausgesetzt waren, fiel mir überaus schwer. 50 Es tröstete mich allein die Tatsache, daß ich an diesem edlen Dienst teilhatte. Ich kaufte Waggonladungen von Brot, Erbsen, Zwiebeln und Sauerkohl, alles, was für die Garküchen benötigt wurde, die die Hungernden in den Dörfern versorgten. Um all dies bezahlen zu können, wurde mir in gro ßer Menge Geld geschickt. Aus den Stoffen, die mir Fabrikanten bringen ließen, schnitt ich Wäschestücke zu, gab sie gegen geringen Lohn zum Nähen an bedürftige Frauen und sandte sie dorthin, wo die größte Not herrschte, zuallererst in die vom Typhus betroffenen Gebiete.
Man könnte annehmen, diese Beschäftigung habe Lew Nikolajewitsch zufriedenstellen können. Dem war zunächst auch so, aber schon bald war er auch davon enttäuscht und begann erneut von einer«großen Tat»zu träumen, wie er es in seinem Tagebuch ausdrückte.
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