Eine Frage der Zeit
Als Kommandant würde er ein Zelt brauchen, damit die notwendige Distanz zwischen ihm und der Truppe, die unter freiem Himmel lagern würde, gewahrt blieb. Ein Feldbett würde erbrauchen, dazu eine faltbare Badewanne aus gummiertem Segeltuch und emaillierte Schüsseln und Frottiertücher in ausreichender Zahl, außerdem vier Spanische Wände zwecks Sicherstellung einer minimalen Privatsphäre. Unverzichtbar waren weiter zwanzig Flaschen Sherry für den abendlichen Aperitif sowie zweitausend gezuckerte Durmac-Zigaretten, jede einzelne blau bedruckt mit dem Schriftzug Commander G. B. Spicer R. N. Dann dachte er über die Zusammensetzung seiner Truppe nach. Achtundzwanzig Mann hatte ihm die Admiralität bewilligt, dazu tausend eingeborene Träger, die schon jetzt in Elizabethville durch ortskundige Agenten rekrutiert wurden. Vier fähige Artilleristen würde er brauchen, acht Matrosen und zwei Maschinisten, zudem einen Materialverwalter und einige Unteroffiziere, welche die Eingeborenen führten. Spicer hätte gern ein paar Freunde und alte Kameraden angerufen, um ihnen die Jobs anzubieten. Leider hatte er keine.
Es war ein großer Tag, als Admiral Davis in Spicers Büro auftauchte und ihm mitteilte, dass seine Boote an der Themse bereit lägen.
«Boote? Mehrere?», sagte Spicer und vergaß vor Aufregung zu näseln.
«Sie werden zwei Boote mitnehmen. Der First Sea Lord hält es für zu riskant, Sie mit nur einem Boot loszuschicken.»
Der Admiral fuhr Spicer im Automobil hinaus nach Chiswick zur Werft von John L. Thornycroft, wo die Motorboote im Trockendock lagen. Auf den ersten Blick war Spicer tief enttäuscht. Was er sah, waren zwei identische Mahagoniboote von kaum zwölf Metern Länge, mit einer gemütlichen Kabine am Bug und rosa Vorhängen an den Bullaugen.
«Das sind keine Kriegsschiffe», sagte er und wandte sich angewidert ab. «So was taugt fürs Picknick, für Spazierfahrten auf der Themse in Gesellschaft schöner Frauen, aber nicht für die Kriegsmarine. Wenn ich nicht wüsste, dass das unmöglich ist, würde ich annehmen, die Admiralität beliebt auf meine Kosten zu scherzen.»
«Etwas anderes haben wir auf die Schnelle nicht zur Hand», sagte der Admiral. «Diese Boote hätten nach Griechenland geliefert werden sollen und hängen hier fest, deshalb sind sie zu haben. Sie sind nagelneu, noch nicht mal getauft. Und sie sind schnell, Spicer – zwanzig Knoten pro Stunde. Viermal schneller als die Wissmann.»
«Dampfantrieb?»
«Diesel. Zweimotorig. Zweihundertzwanzig PS. Damit fahren sie über den See, versenken die Deutschen und sind schon wieder weg, bevor die merken, was los ist.»
Spicer betrachtete die Boote nachdenklich. «Man müsste sie umbauen.»
«Selbstverständlich. Die Boote gehören Ihnen, bauen Sie sie um.»
«Man muss die Kabinen entfernen und die Dieseltanks mit Metallplatten schützen. Am Heck befestigen wir ein Maxim-Maschinengewehr, auf der Back eine Dreipfundkanone.»
«Die Werft wartet auf Ihre Befehle, Commander. Und wenn Sie mal eine freie Minute haben, denken Sie sich Namen aus.»
«Für die zwei Holzschüsseln da?»
«Ich bitte darum.»
«Die würde ich Cat und Dog nennen.»
«Ich bitte Sie, Spicer.»
«Nein?»
«Nein.»
«Dann eben Mimi und Toutou.»
«Was ist das denn?»
«Das ist Französisch, Sir. Heißt so viel wie Miau-Miau und Wau-Wau.»
«Was Sie nicht sagen», antwortete Admiral Davis, der selbst ausgezeichnet Französisch sprach. «Na egal, wie Sie meinen. Ich werde mich deswegen nicht mit Ihnen streiten. Immerhin versteht’s kein Mensch, und man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass in den Annalen der königlichen Kriegsmarine bisher keine Schiffe dieses Namens vermerkt sind.»
Die Umbauarbeiten dauerten eine Woche. Um sicherzugehen, dass alles funktionierte, erbat Spicer von Admiral Davis die Erlaubnis, mit beiden Schiffen eine Probefahrt auf der Themse zu machen und mit dem Dreipfünder versuchsweise einen Schuss auf einen ausgedienten Werftschuppen abzugeben. Der Admiral hatte einige Bedenken, ausgerechnet Spicer mitten in London schwere Artillerie abfeuern zu lassen, sah dann aber die Notwendigkeit ein und stimmte zu.
Der Schießversuch fand am 8. Juni 1915 um neun Uhr morgens statt. Spicer bestellte einen Photographen zu Thornycrofts Werft, der eine Aufnahme von Mimi und Toutou in voller Fahrt machte. Auf dem Bild, das im Archiv des Imperial War Museum in London verwahrt wird, fährt Mimi in Ufernähe voraus, Toutou folgt in etwa
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