Eine Frage der Zeit
irgendwo in der Landschaft hockte samt seinem Gepäck. Sie ließen ihre Blicke über die Landzunge und zu den Bergen hinaufschweifen, und dann schauten sie sogar auf den See hinaus, als ob sie ihm zutrauten, dass er im Kanu nach dem kongolesischen Ufer geflohen sein könnte. Aber er war nirgends zu sehen. Stattdessen tauchte in der Abenddämmerung eine weiß uniformierte Gestalt auf. Es war Kapitänleutnant von Zimmer.
«Haben Sie Rudi Tellmann gesehen?», fragte Wendt.
«Deswegen bin ich hier. Und melden Sie sich gefälligst anständig an, Landsturmmann Wendt.»
«Jawohl, Herr Kapitänleutnant. Haben Sie Tellmann gesehen?»
«Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Landsturmmann Teilmann zur Truppe gestoßen ist und ab sofort in der Kaserne wohnt. Er ist gegen Mittag anmarschiert und hat sein Gepäck und sein Gewehr im Mannschaftsraum abgestellt.»
«Wieso das denn?» Rüter war fassungslos.
«Er spricht kein Wort, mit niemandem. Nickt nur und schüttelt den Kopf. Hat von sich aus und ohne Befehl einen Besen genommen und den ganzen Exerzierplatz gekehrt. Ausgesprochen gründlich übrigens. Komischer Kauz. Aber sehr brauchbar.»
«Ich brauche Teilmann auf der Werft», sagte Rüter. «Ohne ihn wird die Götzen nie fertig.»
«Sie werden die Götzen schon fertig stellen, Rüter.» Von Zimmer lächelte böse. «Sehr bald schon. Verlassen Sie sich drauf.»
«Ich danke Ihnen für das Vertrauen, Herr Kapitänleutnant, aber ohne Tellmann…»
«Ich vertraue Ihnen nicht, Rüter, ganz gewiss nicht. Aber Sie werden die Götzen fertig stellen, weil ich es will, und weil ich nötigenfalls dafür sorgen werde. Wenn Sie dafür den Tellmann brauchen, schicke ich ihn tageweise hinunter zur Helling. Ansonsten absolviert er die Grundausbildung in der Kaserne. Und Sie beide, meine Herren, werden das auch bald tun. Zugschule, Kurzausbildung an leichter Artillerie. Salutieren, Achtungsstellung, Kniebeugen mit vorgehaltenem Karabiner. Schießen auf bewegliche Ziele. Nachtmarsch mit Sturmgepäck. Sobald die Götzen fertig ist. Wann ist es so weit – in zwei Wochen? drei Wochen?»
«Herr Kapitänleutnant», sagte Wendt und trat einen Schritt vor. «Jemand hat Teilmanns Gepardenweibchen getötet.»
«Die Katze, Ihr Maskottchen?»
«Richtiggehend abgeschlachtet.»
«Schade», sagte der Kapitänleutnant. «Ein hübsches Tier. Männer brauchen ein Maskottchen, wenn sie lange unter sich sind, nicht wahr? Wir haben auch eins in der Kaserne. Eine kleine, weiße Ziege, die Leutnant Junge vor ein paar Monaten angeschleppt hat. Die Männer sind ganz vernarrt in das Tier.»
«Wir haben den Kadaver im Wäldchen hinter der Kaserne gefunden. Auf der Lichtung, auf der Ihre Soldaten sonntags gern Fußball spielen. Wissen Sie etwas darüber, Herr Kapitänleutnant?»
«Sagen Sie, Wendt, was ist denn das für ein Ton? Sie nehmen mich doch nicht etwa ins Verhör?»
«Ich bitte um Antwort.»
«Jetzt hören Sie mir gut zu, Sie Grünschnabel», sagte von Zimmer leise und machte nun ebenfalls einen Schritt auf Wendt zu, sodass sie einander dicht gegenüberstanden. «Es ist Krieg, falls Sie das noch nicht kapiert haben. Sie und Ihre Freunde gehen mir schon lange auf die Nerven mit Ihren Privatunterkünften, Ihren Weibergeschichten, Ihren Massai-Kumpanen und Ihrer Sonderverpflegung. Ihr Zivilistengetue ist schädlich für die Moral der Truppe. Also verschonen Sie mich mit Ihrer Tierliebe und benehmen Sie sich wie Soldaten. Hier stelle ich die Fragen, und Sie antworten mit Jawohl und Nein und zu Befehl. Ist das klar?»
Wendt und Rüter schwiegen.
«Ist das klar?»
«Jawohl, Herr Kapitänleutnant.»
«Jawohl, Herr Kapitänleutnant.»
«Sonst stecke ich Sie in die Arrestzelle. Die ist um einiges ungemütlicher als Ihr Biergarten.»
«Zu Befehl, Herr Kapitänleutnant.»
«Dann ist es gut. Wir wollen uns nicht wegen einer toten Katze streiten. Nehmen Sie einfach zur Kenntnis, dass Landsturmmann Teilmann heute beschlossen hat, zur Truppe zu stoßen. Falls Sie beide den Wunsch haben sollten, schon vor Fertigstellung der Götzen ebenfalls in die Kaserne umzuziehen, sind Sie jederzeit willkommen.»
«Danke, Herr Kapitänleutnant.»
«Bis auf Weiteres, Herr Kapitänleutnant…»
«Übrigens geht die Wissmann morgen wieder auf Feindfahrt. Diesmal übernehme ich selbst das Kommando, Oberleutnant Horn wird den Landungstrupp leiten. Natürlich brauche ich wieder einen Ersten Maschinisten. Man weiß ja nie, wann die alte Dampfmaschine den Geist
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