Eine Frage der Zeit
Mannschaftsraum, in den Holzbunkern, im Maschinenraum und in den Kabelgatts. Er fragte Wendt und Rüter, ob sie Veronika gesehen hätten, dann auch die zwei Askari, die nahebei die Wissmann bewachten. Voller Sorge suchte er das tiefe, klare Wasser des Hafenbeckens ab. Er lief am Strand entlang und rief nach ihr, rannte hügelan ins Dorf und rief, ging weiter zum Bahnhof und rief, dann hinüber zur Kaserne und rief und rief und rief.
Nach Einbruch der Dunkelheit erschien Tellmann erstmals seit vielen Monaten allein zum Abendessen in Wendt’s Biergarten. Er saß stumm bei Tisch, knetete seine Hände und starrte auf seinen Teller, und auch später, als die Gäste träge auf den geflochtenen Matten lagen und halblaut Lieder sangen, miteinander scherzten und die Ereignisse des Tages besprachen, redete er mit niemandem ein Wort, sondern hielt den Blick unablässig auf die Lücke im Stachelverhau gerichtet, ob da nicht endlich Veronika auftauchen möge, und lief alle paar Minuten in die Nacht hinaus, um nach ihr zu rufen.
«Jetzt gib endlich Ruhe und setz dich zu uns», sagte Wendt. «Dein Kätzchen wird schon irgendwann heimkommen.»
Tellmann gab keine Antwort, aber er gehorchte und setzte sich hin.
«Sie ist ein Wildtier, Rudi», sagte Rüter. «Da ruft gelegentlich die Natur, besonders im Frühling. Das weißt du doch, du als Jäger. Wenn sie Hunger hat, kommt sie dann von allein heim.»
In Tellmanns Blick leuchtete Hoffnung auf, und um seine Mundwinkel spielte ein Lächeln.
Der junge Wendt lachte, vielleicht ein wenig zu laut. «Du stellst dich an, als wäre die Unschuld deiner Töchter in Gefahr! Jetzt trink noch ein Glas, dann gehen wir schlafen.»
Sie fanden Veronika acht Stunden später. Über den Bergen kündigte ein erstes Glimmen den neuen Tag an, im Dorf krähten die Hähne, aus den Häusern stieg der Rauch morgendlicher Herdfeuer, auf den Straßen streunten Hunde und Schweine. Über den Trampelpfad, der auf die Landzunge hinausführte, rannten aufgeregt zwei Schatten, ein großer und ein kleiner. Der große Schatten war Kahigi, einer der beiden Bantumänner, die ihre Abende in Wendt’s Biergarten verbrachten; der kleine Schatten war ein achtjähriger Junge aus dem Dorf. Sie schlichen in weitem Bogen um Tellmanns Haus herum, rannten achtlos an Anton Rüters Haus vorbei und klopften heftig an Wendts Tür.
«Rasch, Hermann!», sagte Kahigi. «Dieser Junge hier hat Tellmanns Katze gefunden, als er seine Ziegen auf die Weide treiben wollte. Im Wäldchen hinter der Kaserne!»
«Veronika? Wieso habt ihr sie nicht hergebracht?»
«Komm mit und schau’s dir an. Mach rasch, bevor die anderen aufwachen.»
Veronikas Fell lag mitten in der Waldlichtung, zum Trocknen aufgespannt zwischen vier Pflöcken. Ihr nackter, blutiger Schädel lag in einiger Entfernung und war schwarz vor Ameisengewimmel, und ihre schönen, goldbraunen Augen starrten ins Leere. Den Rest des Kadavers hatten wohl die Hyänen mitgenommen. Hermann Wendt kniete nieder und streichelte das Fell. Dann löste er die Stöcke aus der Erde, rollte das Fell ein und reichte es Kahigi. «Mach was damit, ja?», sagte er leise. «Nimm’s bitte mit und mach irgendwas damit.» Dann ging er hinüber zu Veronikas Schädel und hob mit einem der Stöcke eine kleine Grube aus. Gerade als er den Schädel hineinlegen und die Grube wieder zuschütten wollte, hörte er hinter sich im Wäldchen Schritte. Es war Rudolf Tellmann.
«Ach Rudi, verdammter Mist», sagte Wendt.
Tellmann sah das Fell in Kahigis Arm, und er sah den Schädel mit den goldbraunen Augen. Er machte auf dem Absatz kehrt und ging steifen Schrittes zurück durch den Wald. Hermann Wendt, Kahigi und der Dorfjunge folgten ihm in einigem Abstand. Sie wagten es nicht, ihn einzuholen.
An jenem Morgen blieb Rudolf Teilmanns Tür verschlossen. Sie blieb verschlossen, als Anton Rüter anklopfte, und sie blieb auch verschlossen, als der junge Wendt ihn anflehte, doch bitte aufzumachen. Also gingen Rüter und Wendt ohne ihn zur Arbeit in der Annahme, dass er irgendwann von selbst auf der Helling auftauchen werde.
Das tat er nicht. Es wurde Mittag, dann Nachmittag und Abend, und Tellmann tauchte nicht auf. Und als Rüter und Wendt nach Feierabend bei ihm vorbeischauten, stand seine Tür offen. Das Haus war leer und sauber ausgekehrt, als ob nie ein Mensch darin gewohnt hätte, und die Beete im Gemüsegarten waren frisch geeggt und eingeebnet. Wendt und Rüter hielten Ausschau, ob Tellmann vielleicht
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