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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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von überall und nirgendwo her zu kommen schien, und es roch gediegen nach Möbelpolitur, Talkumpuder und Kölnischwasser. Die Mahagonitische schimmerten, die Messingbeschläge glänzten. Spicer erschauerte. Endlich war er angekommen, wo er immer hingewollt hatte. Endlich war er zu Hause, daheim, entkommen der plebejischen Rohheit der gewöhnlichen Welt. Er machte zwei, drei Schritte, ließ seinen Blick schweifen und genoss die vornehme Ruhe des Ortes. Kein einziges Reklameschild war zu sehen, noch nicht mal das kleinste Markenetikett; dieses Etablissement hatte Marktschreierei nicht nötig. Das Mobiliar, die Leuchter, der Läufer am Boden – alles war dezent kostbar und schien geschaffen, um Jahrhunderte zu überdauern; Prunk und Prahlerei aber, zur Schau gestellten Reichtum gab es nicht. Spicer fühlte sich im Innersten wesensverwandt mit dieser beiläufigen Noblesse alten Adels, der niemandem etwas zu beweisen hatte. Da wollte er hin, so wollte er sein.
    «Guten Morgen, Sir. Kann ich Ihnen behilflich sein?» Aus dem mahagonifarbenen Dunkel hinter dem Tresen löste sich eine schwarz gekleidete, glatzköpfige Gestalt mit grauem Backenbart, tiefen Gesichtsfalten und violetten Tränensäcken. Der Mann missfiel Spicer. Seine Stimme hatte den Beiklang überheblicher Dienstfertigkeit, und in seinem Blick lag kaum verhohlene Herablassung. Mag sein, dachte Spicer, dass hier Könige und Päpste einander die Klinke in die Hand geben, und vielleicht hat meine Uniform schon bessere Tage gesehen. Aber ich bin Geoffrey Spicer Simson, und dieser Kerl wird mich jetzt kennen lernen.
    «Guten Tag, mein lieber Junge», sagte Spicer und näselte wie niemals zuvor. «Lauf und hol mir rasch den Geschäftsführer, ja? Sag ihm, Commander Spicer Simson wünscht, eine neue Paradeuniform zu bestellen.»
    «Es ist uns eine Ehre, Sir», sagte der Greis, und seine Oberlippe wurde lang wie die eines Pferdes. «Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Gieves.»
    «Sehr fein, Gieves. Jetzt hol den Geschäftsführer. Na los, mach schon.»
    «Sir, ich bin alleiniger Inhaber dieses Geschäfts, in fünfter Generation. Der Herr Oberleutnant ist befördert worden?»
    «Zum Acting Commander der Marine, mein lieber Junge. Auf geheimer Mission.»
    «Ich gratuliere, Commander.»
    «Streng geheime Mission. Auslandseinsatz. Du hast da was an der Nase, mach das weg. Und du bist wirklich der Boss hier?»
    «Nun… jawohl, Sir.»
    «Na gut, dann mach dich bereit zum Diktat. Ich will einen Waffenrock aus hellem Khaki. Dazu ein leichtes, graues Flanellhemd. Hast du das? Nein, lieber ein graublaues Hemd. Oder grün? Nein, graublau. Dazu blaue Rangabzeichen und blaue Kragenspiegel.»
    «Blaue Rangabzeichen, Sir?»
    «Ganz recht.»
    «Keine roten?»
    «Blaue Rangabzeichen.»
    «Für eine Marineuniform?»
    «Ja doch.»
    «Falls Sie mir die Bemerkung erlauben, Sir, das ist äußerst unüblich. Wie Sie selbstverständlich wissen, trägt die Marine seit zweihundert Jahren rote Rangabzeichen und Kragenspiegel. Etwas anderes haben wir noch nie…»
    «Dann wird sich die Marine jetzt eben an blaue Abzeichen gewöhnen müssen, mein lieber Junge», sagte Spicer und machte ein zwitscherndes Geräusch, als ob er Speisereste zwischen den Zähnen hervorsaugte. «Ich kommandiere eine Sondereinheit auf geheimer Mission, verstehst du? Afrika. Achtundzwanzig Mann. Die werden alle blaue Abzeichen tragen, ich schicke sie dir in den nächsten Tagen vorbei. Und marineblaue Krawatten. Und goldenes Eichenlaub an der Mütze, soweit es mich betrifft. Und einen Säbel am Gürtel.»
    «Einen Säbel, Sir?»
    «Ein Säbel, ganz recht. Jeder Offizier trägt einen Säbel.»
    «Sir?»
    «Was denn!»
    «Mit Verlaub, Commander, an Offiziersuniformen haben wir seit Jahrzehnten keine Säbel mehr…»
    «Jetzt hol mal dein Metermaß und fang an, mein lieber Junge, ja? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.»
    Die Zeit der Vorbereitungen verging wie im Flug. Da Spicer nun wusste, dass er das Sklaventum bald hinter sich haben würde, machte es ihm nichts mehr aus, seine Tage im blumenkohlfarbenen Büro zu verbringen. Jetzt genoss er den Anblick der Mülltonnen vor dem Fenster, freute sich über die Besuche der klumpfüßigen Taube und ertrug sogar die Anwesenheit des amphibienhaften, pistazienschalenspuckenden Major Thompson. Blubbernd vor Vergnügtheit saß er hinter seinem Schreibtisch und widmete sich der anspruchsvollen Aufgabe, seine persönliche Expeditionsausrüstung zusammenzustellen.

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