Eine Frage der Zeit
Pension. Was sagen Sie?»
«Sir, das Angebot ehrt mich, aber wäre nicht ein jüngerer Mann als ich…»
«Die sind alle engagiert und unabkömmlich. Keiner mehr da. Sie sind meine letzte Hoffnung.»
«Ich fürchte nur, mein Magengeschwür…»
«Die Expedition ist ein Kinderspiel. Sie transportieren das Kanonenboot bequem mit der Eisenbahn von Kapstadt hinauf nach Elizabethville in Belgisch-Kongo, das sind zweitausendsiebenhundert Meilen. Dann geht’s ein kleines Stück durch den Busch, das wird ein bisschen anstrengend. Aber es sind nur hundertsechsundsechzig Meilen. Das entspricht der Distanz zwischen London und Manchester.»
«Sir…»
«Sie lassen das Kanonenboot am Tanganikasee zu Wasser, fahren rüber und schießen die Wissmann zu Klump. Absolut problemlos. Der Dampfer ist ein Rosthaufen, ein Witz von einem Schiff. Und unbewaffnet, soviel wir wissen.»
«Bei allem Respekt…»
«Ich weiß, Thompson, ich verstehe Ihre Bedenken. Der Plan klingt ein wenig kindisch, wie? Nach Pfadfinderkram?»
«Mit Verlaub, Sir, die Sache scheint mir absurd. Man kann keine Kriegsschiffe durch den Dschungel schleppen. Das ist völlig unmöglich.»
«Da haben Sie natürlich recht. Andererseits sind es nur hundertsechsundsechzig Meilen, und der Weg führt nicht durch jungfräulichen Busch, sondern über einen alten Trampelpfad, der gelegentlich von Ochsengespannen benutzt wird.»
«Verzeihen Sie, Sir, ich kenne afrikanische Trampelpfade. Da kommt man schon zu Fuß kaum durch, geschweige denn mit einem Kriegsschiff.»
«Wenn die Royal Navy da durch will, schafft sie es auch, meinen Sie nicht?»
«Jawohl, Sir.»
«Jedenfalls muss der deutsche Dampfer runter vom Tanganikasee, das ist von großer strategischer Bedeutung.»
«Ich verstehe. Die Sache ist nur die, dass mein Arzt mir dringend empfohlen hat…»
«Stellen Sie sich nicht so an. Sie kriegen den Colonel geschenkt, plus einen Orden. Und eine bessere Pension.»
«Ich fürchte wirklich, dass mein gegenwärtiger gesundheitlicher Zustand…»
«Ich, Sir.» Das war der Augenblick, da Oberleutnant Spicer Simson vortrat und nochmal salutierte. In diesem Augenblick, das wusste er, tat er den entscheidenden Schritt ins Licht der Weltgeschichte. Zwar ahnte er noch nicht, dass nur ein Jahr später sämtliche Zeitungen des Königreichs seinen Namen in großen Lettern drucken würden – aber er wusste, dass er endlich aus der Dunkelheit anonymen Arbeitssklaventums herausgetreten war. Seine Gesichtsmuskeln zuckten vor Erregung. Erstaunt wandte sich der Admiral dem sonderbaren Kauz zu, der da übertrieben stramm neben seinem Schreibtisch stand, nervös an seinen Hosennähten fingerte und absonderliche Fratzen schnitt.
«Bitte geben Sie mir den Auftrag, Sir. Es wäre mir eine Ehre. Eine sehr, sehr große Ehre. Bitte sehr, Sir. Ich habe vier Jahre in Afrika gedient. Ich bin ein erfahrener Kommandeur. Ich beherrsche zahlreiche Sprachen. Ich kenne mich aus in tropischen Binnengewässern. Ich flehe Sie an, Sir.»
Spicer Simson rannte nach Hause, riss sich die fadenscheinige Zivilistenkleidung vom Leib und zog seine alte Paradeuniform an, die um den Leib neuerdings ein wenig spannte; dann stürzte er auch schon wieder die Treppe hinunter. Es war früher Nachmittag, Amy würde erst in ein paar Stunden aus der Munitionsfabrik heimkehren. Mit wehenden Rockschößen lief er über den Russell Square zur Tottenham Court Road, dann über Oxford Circus geradewegs in die Bond Street, wo die berühmtesten und teuersten Schneider Englands ihre Ateliers und Verkaufsgeschäfte hatten.
Spicer wusste, wohin er wollte: Zu Messr. Gieves Limited, dem renommiertesten und ältesten Schneidergeschäft Englands, das schon für König George III. Admiral Nelson und Kapitän William Bligh, den Kommandanten der Bounty, Uniformen angefertigt hatte. Das Geschäft war derart vornehm, dass es noch nicht mal ein Schaufenster oder ein Namensschild aufwies. Trotzdem fand Spicer es auf Anhieb; unzählige Male war er seit frühester Jugend an der edlen Adresse vorbeigeschlendert, hatte sehnsüchtig die Tür berührt und war dann rasch weitergegangen. Diesmal aber blieb er stehen, atmete tief durch und schloss die Augen, um den köstlichen, so lange erwarteten Augenblick auszukosten. Dann umfasste er entschlossen den messingnen Türknopf, reckte das Kinn, setzte eine blasierte Miene auf und öffnete schwungvoll die Tür.
Im Laden herrschte wattige Stille, angenehme Kühle und ein helles Zwielicht, das
Weitere Kostenlose Bücher