Eine Frage der Zeit
aufgibt. Wer von Ihnen fährt mit – Sie, Gefreiter Rüter? Oder Sie, Landsturmmann Wendt? Nein? Auch gut, dann nehme ich den Teilmann mit. Er ist ein ziemlich guter Schütze, nicht wahr?»
«Ach woher», sagte Wendt. «Zielen kann er vielleicht, aber abdrücken tut er nie.»
«Sehr gut. Besser so als umgekehrt. Zielen muss man können, abdrücken nur wollen. Das kriegen wir schon hin. Ich werde ihn jedenfalls schon mal als Scharfschützen bei Oberleutnant Horn einteilen. Gute Nacht, meine Herren.»
Da Rudolf Tellmann von jenem Tag an monatelang kaum mehr ein Wort sprach, kann niemand wissen, was er auf seiner ersten Feindfahrt erlebt hat. Bekannt ist lediglich, dass an jenem 7. Oktober 1914 eingeborene Spione Kapitänleutnant von Zimmer zugetragen hatten, dass die Belgier ihre Alexandre Delcommune weiter den Strand hinaufgezogen hätten, um sie zu reparieren, und dass der Kapitänleutnant das keinesfalls zulassen wollte. Bekannt ist ferner, dass Rudolf Tellmann sich am Morgen des 8. Oktober in eine brandneue Schutztruppenuniform kleidete, und dass er im Gleichschritt mit fünfzig anderen Soldaten von der Kaserne hinunter zur Wissmann marschierte, als hätte er zeitlebens nichts anderes getan, und dass er Rüter und Wendt, die traurig und beschämt auf dem Pier standen, keines Blickes würdigte. Von dem Moment an aber, da die Askari die Leinen losmachten und das Schiff dem Horizont entgegendampfte, verlieren wir ihn aus den Augen. Um uns eine Vorstellung von den Ereignissen der folgenden Nacht zu machen, sind wir auf den Rapport Kapitänleutnants von Zimmer angewiesen, der im Militärarchiv in Freiburg im Breisgau nachzulesen ist.
Ich beschloss, sofort mit der Hedwig von Wissmann hinzufahren, schreibt von Zimmer, den Dampfer abzuschleppen oder zu sprengen, bevor er wieder fahrtbereit wäre. Am 8./9. Oktober 1914 fand die nächtliche Sprengung des Alexandre Delcommune am Strande von Albertville statt. Die Ankunft bei den am Strande vorgelagerten Inseln hatte ich so spät angelegt, dass die Boote bei Tage von Land aus nicht gesehen werden konnten. Gegen 10 Uhr abends schickte ich eine Landungsabteilung von 30 Mann unter Oberleutnant zur See Horn mit Dampfpinasse und Schleppboot von der Hedwig an Land mit dem Befehl, von der Landungsstelle bis zum Liegeplatz der Delcommune vorzustoßen und an Ort und Stelle festzustellen, ob eine Aussicht des Abschleppens bestände. War sie nicht vorhanden, sollte die Abteilung den Dampfer sprengen.
Die in Albertville stationierte belgische Kompagnie hatte ihr Lager halbkreisförmig um die Delcommune aufgeschlagen. Oberleutnant {. S. Horn gelang es, mit allen Leuten durch den Postengürtel hindurch und dicht an den Dampfer heranzuschleichen, bevor er bemerkt wurde. Sowie der Feind alarmierte, stieß Horn an den Dampfer vor. Dieser lag hoch mit dem Vorschiff auf dem Strand, ein aus Sand oder anderm Material hergestellter Wall schützte den Dampfer vor dem Wellenschlag der Brandung. An ein Abschleppen war daher nicht zu denken, er musste gesprengt werden. Maschinist Matuschek und Vizefeldwebel Knaak warfen 2 Dynamitkisten in den Heizraum und zündeten die Zündschnüre an, die anderen Kisten konnten nicht mehr angebracht werden, da der vielfach überlegene Feind, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte, nunmehr so stark drängte und die Abteilung abzuschießen drohte, dass schleunigst Loslösung vom Feinde und Wiedereinschiffung geboten war. Von der Dunkelheit unterstützt, gelang beides ohne Verluste. Nach der Detonation fuhr ich nach Kigoma zurück.
13
Schwarze Spinnen im Gesicht
Wenige Tage nach Rudolf Teilmanns erster Feindfahrt begann am Tanganikasee die kleine Regenzeit. Der Regen setzte am 25. Oktober zu nachtschlafender Zeit ein, erst leise und zaghaft, dann immer kräftiger und lauter. Es war ein lauer und lauter Regen, der in dicken, fetten Tropfen fiel und einige Wochen anhalten würde, und er fiel wie ein bleicher Vorhang über die Welt. Am windstillen Himmel hingen schwere, schwarze Wolken und wollten tagelang nicht weiterziehen, und unten auf der Erde war alles matt und nass und klamm. Unaufhörlich flackerte Wetterleuchten über dem See, in der Ferne grollte der Donner. Den ganzen Tag herrschte Dämmerlicht. Die Blätter der Bäume waren fett und schwer, die kleinen Tiere versteckten sich in Erdhöhlen, die großen standen mit hängenden Ohren unter Bäumen. Wendt’s Biergarten versank im Schlamm. Die waldlosen, kahlen Hänge
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