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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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beständig zwei Mann rittlings auf den Booten sitzen und jeden Funken, der auf die Abdeckplanen fiel, sofort wegwischen. Derart schutzlos der Sonne, dem Wind und dem Rauch der Lokomotive ausgesetzt zu sein, mochte auf den ersten Blick als eine recht unbequeme Art des Reisens erscheinen, aber schon bei meiner ersten Funkenwache fiel mir auf, dass man draußen die Stimme des Commanders nicht hören konnte, der drinnen im Salonwagen während der gesamten zweiwöchigen Fahrt nur selten davon abließ, Kostproben seiner Heldentaten und seiner Sangeskunst zum Besten zu geben. So übernahm ich freiwillig jede Wache, die ich kriegen konnte, saß und lag über viele hundert Meilen bequem wie in einer Hängematte auf den Abdeckplanen und hatte ausgiebig Zeit, mich tagsüber an der herrlichen Fauna Afrikas, nachts an der Pracht des südlichen Sternenhimmels satt zu sehen. Übrigens fielen nicht sehr viele Funken auf die Abdeckplanen. Und da sie im Fahrtwind rasch verglommen, wischte ich sie bald gar nicht mehr weg.
    Leider nahm die Herrlichkeit am Nachmittag des 5. August 1915 ein plötzliches Ende. Wir hatten mit unserem Sonderzug bereits ein Drittel des afrikanischen Kontinents in nördlicher Richtung durchquert, und ich wollte schon glauben, dass wir immer weiterfahren und nacheinander den Kongo, Kenia, Äthiopien, Sudan und Ägypten durchqueren und irgendwann in Alexandria am Mittelmeer anlangen würden – aber dann führten die Schienen hinter Elizabethville über einen letzten Fluss, eine letzte Ebene dürren Graslands und einen letzten kleinen Hügelzug, um in Fungurume, auf viertausendzweihundert Fuß über Meer im südlichsten Zipfel Belgisch-Kongos, einfach aufzuhören. Einen Bahnhof gab es nicht, nur ein paar Bretterstapel und Baubaracken. Aber einen tiefschwarzen Bahnhofsvorsteher namens Monsieur gab es, der eine Art Uniform trug und französisch mit rollendem R sprach.
    Nie werde ich den Augenblick vergessen, da Spicer Simson aus dem Zug stieg. Er machte ein paar Schritte auf dem staubigen, rot verbrannten Steppenboden, ging in die Hocke und zerrieb etwas Erde zwischen den Fingern, stand wieder auf und drehte sich um sich selbst. Dann ließ er den Blick aus halb geschlossenen Lidern in die Ferne schweifen, hob dazu witternd die Nase und sagte: «Das ist gut. Das ist sehr, sehr gut.»
    Dann rief uns Monsieur zum Kaffee in seine Wellblechbaracke, die das einzige einigermaßen beständige Bauwerk in Fungurume darstellte. Sein Kaffee war ausgezeichnet, und dazu servierte er wundersamerweise die frischesten und zartesten Croissants, die ich je gegessen habe.
    Wie sich herausstellen sollte, war Monsieur nicht der einzige Bewohner Fungurumes. In der Abenddämmerung näherte sich auf der Straße, die vom Schienenende geradeaus auf die Berge zuführte, eine Staubwolke, und aus der Wolke heraus trat, angeführt von fünf oder sieben weißen Männern in Tropenanzügen, eine endlose Kolonne erschöpfter, verschwitzter Eingeborener, die Schaufeln, Spaten und Pickel, Sägen, Äxte und Brecheisen auf ihren Schultern trugen. Manche stießen Schubkarren, andere trieben Ochsengespanne vor sich her, und insgesamt zählten sie wohl an die fünfhundert Mann; das war der Bautrupp, der den vor uns liegenden Trampelpfad verbreitern sollte, damit Mimi und Toutou mit ihren Dampftraktionsmaschinen passieren konnten. «Das ist gut», sagte Spicer, während die Straßenbauarbeiter vor der Eisenbahn stehen blieben und skeptisch die zwei Boote betrachteten. «Das ist sehr, sehr gut.»
    Nach und nach zogen sich die Arbeiter in Gruppen von vier oder fünf Mann in die Steppe zurück und entzündeten ihre Lagerfeuer. Spicer und ich stiegen hinauf aufs Dach des Salonwagens, um uns einen Überblick zu verschaffen; das Lichtermeer der Lagerfeuer erstreckte sich weit in die Nacht hinaus, und ich musste an das Volk Israel am Abend vor dem Auszug aus Ägypten denken. Da Spicer auffällig ruhig neben mir stand und erstaunlich lange schwieg, nehme ich an, dass auch ihn dieser Anblick tief bewegte.
    In den folgenden Tagen strömten immer noch mehr Menschen herbei, und die Lagerfeuer dehnten sich in der Ebene immer weiter dem Horizont entgegen. Zu den fünfhundert Straßenarbeitern kamen tausend Träger hinzu, die unsere fünfzig Tonnen schwere Expeditionsausrüstung auf ihre Schultern nehmen sollten, und da sie fast alle ihre Frauen und Kinder mitbrachten, scharten sich um Mimi und Toutou bald an die fünftausend Menschen. Schließlich brachte die Bahn die

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