Eine Frage der Zeit
aufzusehen. „Ich schlage mich in der Zwischenzeit mit den eingelaufenen Pressemitteilungen herum.“
Eine halbe Stunde arbeiteten beide schweigend an ihren Rechnern. Velten checkte gut ein Dutzend Meldungen. Die Polizei berichtete von einem Überfall auf eine Spielhalle und von einer Betrügerin, die eine Neunundachtzigjährige mit dem „Enkeltrick“ um ihr Erspartes gebracht hatte. Ein konservativer Lokalpolitiker hielt den Reisebericht einer Berlin-Fahrt mit zwei Dutzend Senioren aus seinem Wahlkreis für erwähnenswert. Selbstverständlich fehlte auch das übliche Foto der Delegation vor dem Reichstag nicht. Eine Gruppe von Umweltaktivisten verlangte den Stopp der Bauarbeiten an einem Regenrückhaltebecken, weil in der Nähe die vom Aussterben bedrohte Knoblauchkröte gesichtet worden sei. Ein Aktionsbündnis links angehauchter Weltverbesserer kündigte eine Mahnwache vor dem Waldenthaler Job-Center an, um gegen die angebliche Diskriminierung von Hartz-IV-Empfängern zu protestieren. Velten seufze. Lokaljournalismus konnte ziemlich langweilig sein. Als er mit den Pressemitteilungen fertig war, schaltete er den Bildschirm aus und lehnte sich mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl zurück: „Lassen Sie hören!“
Marcks sortierte einige Ausdrucke auf ihrem Schreibtisch. „’Martin R.’ wird zum ersten Mal vor fast zwanzig Jahren erwähnt. Damals wurden aus dem Stadtmuseum am Schlossplatz etliche kostbare Gemälde von Johannes Hofstetter gestohlen. Hofstetter war einer der bekanntesten Landschaftsmaler des neunzehnten Jahrhunderts.“
„Er war gebürtiger Waldenthaler, zog aber schon im Alter von fünfzehn Jahren mit seiner Familie nach München“, ergänzte Velten. „Dort begann er auch zu malen. In Waldenthal hatte er nie einen Pinsel in der Hand gehalten. Von diesem Teil der Geschichte werden Sie natürlich in unserem Heimatmuseum nichts erfahren.
„Wie auch immer, dort ist dem berühmten Sohn der Stadt seit den siebziger Jahren eine Dauerausstellung gewidmet. Vor etwa zwanzig Jahren sind mehrere Täter in das Gebäude eingedrungen und haben einen Teil der Bilder mitgehen lassen. Es war eines der spektakulärsten Verbrechen des Jahrzehnts in Waldenthal.“
„Was hatte Rothaar damit zu tun?“
Marcks blätterte in ihren Unterlagen: „Er war damals fünfundzwanzig Jahre alt und arbeitete als Wachmann bei einem privaten Security-Dienst. Als während einer Umbaumaßnahme im Museum die Alarmanlage für mehrere Wochen abgeschaltet werden musste, schob er für seine Firma Dienst in der Hofstetter-Sammlung. Er gab an, von mehreren maskierten Männern überfallen und niedergeschlagen worden zu sein. Als er wieder zu sich gekommen sei, habe er festgestellt, dass die Täter mit den Bildern verschwunden waren.“
„Lassen Sie mich raten: die Polizei hat ihm das nicht abgekauft.“
„Die Platzwunde an seinem Hinterkopf war wohl eher harmlos. Außerdem sollen die Einbruchsspuren am Hintereingang des Museums fingiert worden sein. Martin Rothaar stand im Verdacht, die Täter eingelassen zu haben. Allerdings war ihm nichts nachzuweisen.“
„Irgendetwas klingelt beim Stichwort Hofstetter-Sammlung bei mir“, sagte Velten nachdenklich.
„Das sollte es auch“, antwortete Marcks „Letztes Jahr im Juni tauchten zwei der gestohlenen Bilder bei einer Versteigerung in Chicago auf. Die Leiterin des Waldenthaler Museums bekam davon Wind und informierte die Behörden. Das FBI stoppte den Verkauf und die Werke wurden dem Museum zurückgegeben.“
Die Sonne knallte jetzt ungehindert ins Büro. Es war drückend heiß. Velten ging zum Fenster und ließ das Rollo herunter. „Ich erinnere mich. Ich war in Urlaub, als die Bilder wiederentdeckt wurden und habe die ganze Sache nur nebenbei mitverfolgt. Ich glaube, Kreutzer hat über die glückliche Heimkehr der Gemälde geschrieben. Welcher Kollege hatte denn in den neunziger Jahren über den Diebstahl der Bilder recherchiert?“
Marcks sah in die Ausdrucke: „Jemand mit dem Namenskürzel THO. Wenn THO noch beim Morgenkurier arbeitet, kann er uns vielleicht weiterhelfen.“
„Wohl kaum. THO war das Kürzel von Tina Hofer.“
„Die Kollegin, die spurlos verschwunden ist?“
Velten nickte. „Versuchen Sie, uns für morgen bei der Museumsleiterin anzumelden. Ein Gespräch mit ihr kann nicht schaden.“
„Wird erledigt. Und was liegt sonst noch an?“
„Ich beantworte Leserpost und Sie widmen sich wieder den Rodalber Landfrauen.“
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Die
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