Eine Frage der Zeit
reichlich komplizierten Familiennamen Zubčić.“ Sie deutete auf ihren Rechner: „Herr Velten, ich würde liebend gerne weiter mit Ihnen über meinen Stammbaum plaudern, aber wir haben leider noch ein wenig Arbeit vor uns.“
Velten, der sich in diesem Moment weit mehr für Nina Jost interessierte als für die zukünftige Internetstrategie des Morgenkurier , stimmte ihr widerwillig zu. In der folgenden Stunde traktierte sie ihn mit Dutzenden von Fragen zum „Markenkern“ der Zeitung, zur Struktur der Leserschaft und zur „Online-Affinität“ der Redaktion.
Nina Jost tippte seine Antworten konzentriert in ihren Laptop. Schließlich klappte sie den Computer zu: „Sie haben es fürs erste überstanden. Hat doch gar nicht weh getan, oder etwa doch?“
„Nur ein wenig“, antwortete er lächelnd. „Wie lautet ihre erste Diagnose?“
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Der ganze Verlag, und ich zähle Sie ausdrücklich dazu, Herr Velten, hat kein durchdachtes Modell, um das Wegsterben der Print-Abonnenten durch eine wirtschaftlich tragfähige Online-Strategie zu kompensieren.“
„Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, was?“
„Dafür werde ich auch nicht bezahlt“, antwortete sie kühl. „Sie wollten doch die Diagnose hören. Wenn wir uns dabei schon etwas vormachen, kann die Therapie nicht gelingen. Und die Symptome sind doch schließlich eindeutig.“
„Geben Sie mir ein Beispiel für so ein Symptom.“
„Die Printausgabe Ihrer Zeitung kostet einen Euro zwanzig. Die Homepage kann aber jeder umsonst lesen, und zwar schon am Abend vorher. Finden Sie, dass man mit etwas Geld verdienen kann, das man verschenkt?“
„Die meisten Zeitungen gibt es gratis im Internet“, rechtfertigte Velten die Verlagspolitik.
„Die Inhalte von vielen Blättern sind auch in gewisser Weise austauschbar“, gab Nina Jost zurück. „Wenn ich etwas über die deutsche Außenpolitik oder die Energiewende lesen will, finde ich dazu kostenlose Informationen auf zwanzig erstklassigen Zeitungshomepages. Ich habe keinen Grund, auf der einundzwanzigsten Website dafür Geld zu bezahlen. Aber wer sich vor allem für das Geschehen in dieser Stadt interessiert, ist auf den Waldenthaler Morgenkurier als einzige seriöse Informationsquelle angewiesen. Und was macht Ihr Verlag? Er verschleudert exklusiven Content kostenlos im Internet. Das führt erstens dazu, dass online außer mit Bannerwerbung nichts verdient wird. Und zweitens macht die kostenlose Homepage Ihrer Zeitung die Printversion für jeden Leser, der einen Netzzugang hat, überflüssig. Klingt das für Sie nach einem überzeugenden Geschäftsmodell?“
„Nein“, gab Velten zu. „Ich hoffe, Sie können auch Johannes Kirchner und die übrige Verlegerfamilie davon überzeugen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Herrschaften sind schon über achtzig und mit ihrer ‚Online-Affinität’ ist es vermutlich nicht weit her.“
Nina Jost quittierte seinen Einwand mit einer lässigen Handbewegung. „Ich werde mit Kirchner über Geld sprechen, das funktioniert immer.“ Sie deutete mit dem Finger auf die Arbeitsplätze von Velten und Marcks: „Sie und Ihre Kollegin und all die anderen Mitarbeiter dieser Zeitung werden vom Verlag dafür bezahlt, dass Sie gute Artikel schreiben. Woher soll künftig das Geld für Ihr Gehalt kommen, wenn Sie Ihre Arbeit weiterhin im Internet verschenken und die Printerlöse wegbrechen? Das ist einfache Mathematik, der sich niemand verschließen kann. Herr Kirchner wird das verstehen, glauben Sie mir.“ Sie sah auf die Uhr: „Schade, ich hätte mich sehr gerne noch länger mit Ihnen unterhalten, aber Herr Kreutzer wartet schon auf mich.“
„Wir könnten unser Gespräch bei einem guten Essen fortsetzen“, schlug er vor.
Nina Jost, die gerade ihren Laptop in ihrer Aktentasche verstauen wollte, hielt in ihrer Bewegung inne. „Das würde ich gerne, aber ich fahre leider schon morgen früh wieder zurück nach Frankfurt.“
„Dann haben Sie ja heute Abend noch nichts vor.“
„Ich wollte an meinem Bericht arbeiten und früh schlafen gehen. Ich werde schon um sieben Uhr abreisen.“
„Geben Sie sich einen Ruck und sagen Sie ja! Ich werde uns ein nettes Restaurant aussuchen.“
Sie musterte ihn mit einem leichten Lächeln: „Also gut, warum nicht. Aber ich muss Sie warnen.“
„Wovor?“
„Erinnern Sie sich an unser erstes Gespräch. Sie sagten, dass ein Berater ein Feind sei. Sie sind gerade dabei, mit diesem
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